Rezension: From a Certain Point of View: Return of the Jedi bietet abwechslungsreiche Unterhaltung

Heute ist es mal wieder Zeit, den Blickwinkel zu wechseln! Da Die Rückkehr der Jedi-Ritter im Mai stolze vierzig Jahre alt wurde, wird das Finale der klassischen Trilogie selbstverständlich auch im Literatursektor gebührend gefeiert. Und dazu gehört natürlich die seit 2017 zur Tradition gewordene Kurzgeschichtensammlung von vierzig Autor*innen, die uns den Film aus vierzig neuen und ungewöhnlichen Perspektiven sehen lässt: From a Certain Point of View: Return of the Jedi erscheint heute bei Random House Worlds. Auf welche interessanten Perspektivwechsel ihr euch freuen dürft und wie sich der Band im Vergleich zu seinen beiden Vorgängern macht, erfahrt ihr in dieser Rezension.

Wie für dieses Format üblich, kommen wieder verschiedensten Charaktere zu Wort, die sonst eher am Rande stehen. So erhalten wir Einblicke in die Gedankenwelt einer Vielzahl von Tänzerinnen, Musikern und sonstigen Bediensteten in Jabbas Palast, in imperiale Sturmtruppler*innen, Scout Trooper, Gardisten und Offiziere, in Rebellenanführer*innen und -pilot*innen, in diverse Ewoks und in Kreaturen wie den Sarlacc oder die Drachenschlange auf Dagobah. Aber auch einige große Figuren wie Darth Vader oder der Imperator werden ins Rampenlicht gerückt, indem wir ihre letzten Momente auf dem Todesstern aus ihrer Sicht zu lesen bekommen.

Das Schöne an diesem Format ist, wie ich auch schon in meinen Rezensionen zu den Bänden zu Episode IV und Episode V betonte, wie viel Abwechslung und unterschiedlichste kreative Ideen es bietet. Von einer ans Herz gehenden Liebesgeschichte von M.K. England über einen Überlebensthriller mit Horrorelementen von Alyssa Wong oder eine tiefgreifende Charakterstudie von Emma Mieko Candon bis hin zu einer Parodie von Tom Angleberger ist wieder für jeden Geschmack etwas dabei. Da ich natürlich nicht jede Geschichte einzeln betrachten kann, habe ich meine fünf Highlights herausgepickt, was mir ziemlich schwergefallen ist, da sich so viele gute Geschichten in diesem Band finden.

Meine Highlights

„Wolf Trap“ von Alyssa Wong

Story #33: "Wolf Trap" von Alyssa Wong (Scout Trooper)
Story #33: „Wolf Trap“ von Alyssa Wong (Scout Trooper)

Wenn man Die Rückkehr der Jedi-Ritter schaut, passiert es leicht, dass man sich darüber amüsiert, dass die niedlichen Ewoks anscheinend gerne mal Menschen verspeisen. Gar nicht lustig ist diese Vorstellung allerdings aus Sicht eines bei den Ewoks gefangenen Sturmtrupplers, der dabei zusehen muss, wie einer seiner Kameraden nach dem nächsten verschwindet, während er hungert und durstet, verzweifelt nach einem Ausweg sucht, beinahe seinen Verstand verliert und Flashbacks zu grausigen Ereignissen aus seiner Jugend hat.

Alyssa Wong gelingt es, einen sehr realistischen Blick auf einen Menschen in einer Extremsituation zu werfen, der in seiner Verzweiflung bereit ist, alles tun tun, nur um zu überleben. Die Stimmung der Gegenwartshandlung und der Flashbacks dieses packenden Überlebensthrillers passen perfekt zusammen und am Ende schließt sich der Kreis zu einer emotional aufwühlenden, aber wunderbar runden Geschichte, die den Blick auf den Film extrem verändert und auch deshalb bei mir an erster Stelle steht.

„Brotherhood“ von Mike Chen

Story #38: "Brotherhood" von Mike Chen (Anakin Skywalker)
Story #38: „Brotherhood“ von Mike Chen (Anakin Skywalker)

Als der geläuterte Anakin Skywalker seinen letzten Atemzug tut, ist seine Geschichte noch nicht zuende, denn auf der anderen Seite erwartet ihn sein Freund und ehemaliger Meister Obi-Wan, der noch eine letzte Lektion für seinen alten Padawan hat.

Wer schon den Roman Brotherhood gerne gelesen hat, ist hier genau richtig, denn Mike Chen nimmt die tolle Charakter- und Beziehungsarbeit, die er für Anakin und Obi-Wan geleistet hat, viele Jahre später einfach wieder auf und führt sie passend fort. Die Lektion, die Anakin nach seinem Tod noch zu lernen hat, passt genau zu dem ungeduldigen Jedi bzw. Sith, lässt uns Anakins Erscheinen bei der Feier der Rebellen nochmals in einem anderen Licht sehen und hat am Ende bei mir ein warmes, harmonisches Gefühl hinterlassen.

„Trooper Trouble“ von Laura Pohl

Story #30: "Trooper Trouble" von Laura Pohl (TK-423)
Story #30: „Trooper Trouble“ von Laura Pohl (TK-423)

Bei den Zuständen am Arbeitsplatz müsste man eigentlich mal streiken! – Das denken sich einige auf dem Todesstern stationierte Sturmtruppen des Imperiums, denn, wie TK-423 in seinem Tagebuch erzählt, besteht sein Job aus nichts als Rumstehen beim Empfang hoher Gäste, das Schießtraining neuer Rekruten fällt wegen Munitionsmangels aus, der Sold ist nach Wochen immer noch nicht auf dem Konto und am allerschlimmsten: Es gibt keinen Kaffee!

Diese Geschichte ist quasi eine amüsante Imperiums-Edition der Extra 3-Rubrik „Der reale Irrsinn“. Aus Sicht eines einfachen Sturmtrupplers wird uns hier das alltägliche Chaos des Imperiums präsentiert, bei dem so einiges nicht rund zu laufen scheint, worunter vor allem die untersten Ränge zu leiden haben. Laura Pohl liefert eine Menge zum Lachen und macht es uns leicht, uns mit den Sturmtrupplern zu identifizieren. Vom nervigen Kollegen, der immer den Vorsetzten in den Hintern kriecht, bis zum Bullshit-Bingo-Spiel bei Ansprachen des Chefs ist hier alles dabei, was der Arbeitsalltag zu bieten hat. Eine wunderbar humorvolle Geschichte, die uns das Imperium mit anderen Augen sehen lässt.

„My Mouth never Closes“ von Jane Anders

Story #11: "My Mouth never Closes" von Charlie Jane Anders (Sarlacc)
Story #11: „My Mouth never Closes“ von Charlie Jane Anders (Sarlacc)

Dass der Sarlacc gerne Wesen in seinen Schlund zieht, verschlingt und Jahrtausende lang verdaut, ist allgemein bekannt. Was aber, wenn das alles nur ein großes Missverständnis ist? Hier kommt endlich mal der Sarlacc selbst zu Wort und der ist ziemlich frustriert, weil diese Menschen sich immer gegenseitig in seinen Mund schubsen, skandalöserweise ohne nach den Ernährungspräferenzen des eigentlich friedlich und vegan lebenden Geschöpfs zu fragen!

Auch Jane Anders liefert exzellentes Training für die Lachmuskeln mit dieser absurd-komischen Story-Idee, die eigentlich eindeutig erscheinende Szenen aus dem Film auf den Kopf stellt. Nebenbei erklärt sie noch, wieso Boba Fett dem Sarlacc so einfach entkommen konnte, und betreibt interessantes Worldbuilding zur Herkunft und den Lebensgewohnheiten des Sarlaccs.

„Divine (?) Intervention“ von Paul Crilley

Story #19: "Divine (?) Intervention" von Paul Crilley (Ewok-Schamane)
Story #19: „Divine (?) Intervention“ von Paul Crilley (Ewok-Schamane)

Unter den Ewoks herrscht Uneinigkeit: Soll man sich vor den Eindringlingen verstecken, wie der Schamane Logray empfiehlt, oder in den Kampf ziehen? Das plötzliche Auftauchen einer Gottheit in Gold macht die ganze Sache nicht einfacher.

Paul Crilley schafft es, die Ewoks nicht als eine gleichförmige Masse, sondern als eine komplexe Gesellschaft mit diversen Ansichten zu präsentieren, in der über Religion und Politik gestritten wird und die junge Generation andere Ideen verfolgt als die alte. Auch bricht er mit der spannenden Figur des Schamanen die Erwartungen von uns Leser*innen, denn es sind wohl nicht alle Ewoks so naiv wie es Episode VI uns glauben macht.

Allgemeine Anmerkungen

Auch in diesem Band hätte es natürlich noch viel mehr Geschichten gegeben, die ich gerne thematisiert hätte, so beispielsweise „Ending Protocol“ von Hannah Whitten, die aus einem kleinen Filmfehler eine ganze Story um eine machtbegabte Sturmtrupplerin baut. Oder die Geschichte „The Impossible Flight of the Ash Angels“, in der Marieke Nijkamp uns die Entwicklung eines A-Wing-Piloten zeigt von jemandem, der sich nur nicht irgendwo einmischen will, zu jemandem, der bereit ist, für die Sache der Rebellion zu sterben. Oder „The Ballad of Nanta“ von Sarah Kuhn, die die dramatische Geschichte eines Ewoks erzählt, dessen Leidenschaft es ist, die Geschichte seines Stammes zu dokumentieren.

Einige der Kurzgeschichten nehmen auch Bezug aufeinander oder auf andere literarische Werke wie beispielsweise War of the Bounty Hunters oder die Darth Vader-Comics. Dies führt dazu, dass sich viele Erzählungen gut in den Kanon eingebunden anfühlen. Dennoch muss man den Kanon-Status der Geschichten aus dem besonderen Blickwinkel wie immer mit Vorsicht genießen. Bei manchen Geschichten wie der Beschwerde des Sarlaccs oder Tom Anglebergers parodistischem Whills-Dialog erklärt sich das von selbst. Aber auch andere Geschichten aus diesem Band müssen nicht unbedingt kanonisch sein. Auch haben sich einige kleine Kontinuitätsfehler eingeschlichen, vor allem zwischen den Geschichten um die Ewoks. Hier unterscheiden sich die Begriffe, mit denen die Ewoks die Sturmtruppler und Rebellen beschreiben. Und während in einer Ewok-Geschichte noch ganz naiv erforscht wird, was denn die Eindringlinge auf Endor wollen, wird in anderen Geschichten erwähnt, dass ein Flüchtling und letzter Überlebender eines vom Imperium vernichteten Stammes im Dorf aufgenommen wurde und die Ewoks sehr wohl wissen, dass ihnen Gefahr droht. Dies sind aber nur kleine Ungenauigkeiten, die den Lesespaß nicht stören.

Mehr gestört hat mich leider, dass so viele Seiten für die Handlung rund um Jabbas Palast aufgewendet wurden. Von den vierzig Geschichten spielen ganze zehn auf Tatooine, also ein Viertel. Und dieses Viertel, das leider am Anfang des Buches steht, zieht sich hin. Ich zumindest habe ich mir daher zu Beginn sehr schwer damit getan, in das Buch reinzukommen, da mich die ganzen Geschichten über die diversen Bediensteten in Jabbas Palast meist nicht abgeholt haben. Das mag wohl Geschmackssache sein und daran liegen, dass ich mich für diese Figuren wenig interessiere. Ich finde aber auch, dass viele von diesen Geschichten recht vorhersehbar und repetitiv sind und kaum eine unerwartete Perspektive bieten. Dass dieser für mich uninteressanteste Abschnitt nun gleich am Anfang steht – im Gegensatz zu Episode IV, wo die eher schwache Cantina-Szene in der Mitte lag, und Episode V, wo mich die Cloud-City-Geschichten gegen Ende nicht überzeugen konnten – ist nun aber nicht die Schuld des Buches, das sich ja an der Struktur des Films orientieren muss. Dennoch könnte für meinen Geschmack darauf geachtet werden, dass diese Szenen mit relativ vielen verschiedenen Hintergrundcharakteren nicht zu viel Raum im gesamten Buch einnehmen, da dieses lange Stillstehen in einer Szene jetzt doch zum wiederholten Mal ermüdend war. Aber vielleicht geht es euch da ja ganz anders als mir und ihr konntet gar nicht genug von Jabbas Palast kriegen? Lasst es uns gerne in den Kommentaren wissen.

From a Certain Point of View: Return of the Jedi bietet auf jeden Fall wieder die bunte Mischung an verschiedenen Charakteren, Perspektiven und Genres, die man von der Reihe gewohnt ist, und weiß dabei exzellent zu unterhalten. Für die zu lang und uninteressant geratene Jabba-Sequenz ziehe ich ein Holocron ab und komme damit immer noch auf gute vier Holocrons und eine definitive Leseempfehlung!

Bewertung: 4 von 5 Holocrons
Bewertung: 4 von 5 Holocrons

Wie hat euch dieser Band gefallen und welche Geschichten sind eure Favoriten?

4 Kommentare

  1. Gerade dein ‚Bashing‘ von Jabbas Palast fand ich als alter und ausschließlicher Legends-Leser interessant zu lesen. Schließlich gab es in den Legends ja als ein ähnliches Pendant: Tales from Jabba’s Palace, wo es eben NUR um den Palast ging. Es ist nun zwar schon eine ganze Weile her, dass ich ihn gelesen habe, aber er ist mir zumindest nicht schlecht in Erinnerung geblieben, zumal er auch schon den damaligen Kanon schön miteinander verwoben hat. Selbiges gilt im Übrigen für Tales from Mos Eisley’s Cantina, wobei du ja auch mit der Kantina ein Problem beim FACPOV-Vorläufer hattest. Hast du die Legends-Tales gelesen? Falls ja, musst du sie ja abgrundtief verabscheut haben 😉 !?

    1. Danke für deinen Kommentar! Ich dachte mir doch, dass die Geschmäcker da verschieden sind. Tatsächlich habe ich die Legends-Tales aus der Cantina und aus Jabbas Palast nie gelesen, weil mich das nicht interessiert hat. Ist aber schön, dass jede Art von Geschichte aus FaCPoV ihre Leser*innen findet, die sich dafür begeistern können!🙂

  2. Ich bin jetzt bei ca. 30 von 40 Kurzgeschichten und bin insgesamt leider doch recht enttäuscht.
    Ich finde auch, dass einige Geschichten einfach schummeln und nur kurz zeigen wo sich die Figur während ROTJ gerade befindet aber die eigentliche Geschichte ist dann ein Rückblick und hat gar nichts mit ROTJ zu tun.
    Richtig vom Hocker gerissen hat mich da bisher leider nichts aber einige deiner Highlights habe ich ja noch vor mir.

    1. Ich hatte tatsächlich auch lange Zeit beim Lesen diesen Eindruck, den du schilderst. Gerade zu Beginn war ich ziemlich enttäuscht. Erst gegen Ende kamen dann für mich viele Highlights, die vieles wieder gut gemacht haben.

      Ich verstehe auch total deine Kritik des „Schummelns“. Ich mag diese Geschichten auch gar nicht, wo die Filmszene nur als Aufhänger genommen wird, um dann irgendeine Geschichte zu erzählen, die damit gar nichts zu tun hat. Dadurch sieht man ja nicht den Film aus einem anderen Blickwinkel, sondern hat nur eine Episode aus dem Leben einer Figur, die im Hintergrund auftaucht. Die ultimative FaCPoV-Geschichte, die das Konzept perfekt verkörpert, ist für mich immer noch die mit dem Kisten-tragenden Typ auf Hoth aus Episode V: Einfach eine vollkommen unwichtige Randfigur genommen, über die sich keiner je Gedanken gemacht hat, und dann eine tolle Story drumherum gebaut, die erklärt, was diesen Rebell bewegt, als er 2 Sekunden auf dem Bildschirm zu sehen ist, und ihn zu einem runden Charakter ausbaut – und das Ganze, ohne das Setting der Echo Basis zu verlassen und stattdessen einen Schwank aus seiner Jugend zu erzählen oder so. Das haben doch einige Geschichten aus dem Band zu Episode VI leider nicht geschafft.

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