Rezension: Aftermath: Life Debt von Chuck Wendig

Vor etwas mehr als 10 Monaten kam am Force Friday mit Chuck Wendigs Aftermath der erste große Kanon-Roman nach Endor auf den Markt und wurde mit großem Tamtam vermarktet. Doch bei vielen Lesern, inklusive mir, blieb nach der Lektüre nichts als Enttäuschung zurück: die großen Drei quasi nicht vorhanden, unspektakuläre neue Figuren, eine recht simpel gestrickte Handlung und ein extrem gewöhnungsbedürftiger Schreibstil. Auch die anderen Rezensenten der Jedi-Bibliothek waren wenig begeistert von Wendigs erstem Beitrag zum Star Wars-Universum. (Hier könnt ihr die Rezensionen von Florian und Julian nachlesen.)

Am 12.07.2016 erschien nun der zweite Teil der Trilogie unter dem Titel Aftermath: Life Debt, an den meine Erwartungen entsprechend niedrig waren. Kriegt Wendig nochmals die Kurve oder erwartet uns eine erneute Enttäuschung?

Aftermath: Life Debt (12.07.2016)
Aftermath: Life Debt (12.07.2016)

Bevor ich euch diese Frage beantworte, kurz zum Inhalt des Romans. Nach den Ereignissen auf Akiva aus Band 1 haben sich die Rebellenpilotin Norra Wexley, ihr Sohn Temmin, der Ex-Imperiale Sinjir Rath Velus, die Kopfgeldjägerin Jas Emari und der Rebellensoldat Jom Barell zu einem Team zusammengeschlossen und jagen im Auftrag der Rebellion hochrangige imperiale Offiziere, um sie für ihre Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Als Han Solo und Chewbacca, die Kashyyyk befreien wollen, plötzlich von der Bildfläche verschwinden, beauftragt Leia das Team um Norra Wexley damit, ihren Mann (die beiden haben kurz nach der Schlacht von Endor geheiratet) zu finden. Gleichzeitig schmiedet der mysteriöse Flottenadmiral aus Teil 1, Gallius Rax, Pläne, um das Imperium wieder erstarken zu lassen, während Großadmiral Rae Sloane zwischen Bewunderung und Misstrauen gegenüber ihrem rätselhaften Berater schwankt…

Zunächst einmal muss ehrlich gesagt werden, dass Life Debt einiges besser macht als sein Vorgänger: Wendigs Schreibstil, obwohl immer noch im Präsens gehalten, liest sich jetzt wesentlich angenehmer. Die extrem kurzen Sätze und die flapsige Ausdrucksweise sind stark reduziert, auch wenn mir an einigen Stelle schon noch kindlich-einfache Sprache („the Death Star went boom„) und das für Wendig typische „Erzähler-Räuspern“, um Euphemismen (Beschönigungen) zu markieren, negativ aufgefallen sind („Sinjr’s training as a loyalty officer gave him little opportunity to, ahem, extract information from nonhumans“).

Auch was die Präsenz der großen Drei angeht, ist Life Debt ein definitiver Schritt nach vorn. Luke suchen wir nach der Schlacht von Endor im neuen Kanon leider weiter vergebens, aber Han und Leia haben ihre Auftritte in Life Debt, ebenso wie Chewbacca und erneut Wedge Antilles. Allerdings sind die Protagonisten, die wir als Leser einen Großteil der Zeit begleiten, weiterhin Norra und ihr Team.

Bei den Figuren liegt jedoch auch mein größter Kritikpunkt an Life Debt. Wendig schafft es zwar dieses Mal zumindest teilweise interessante Figuren zu zeichnen. So sind beispielsweise die Gespräche über Realität und Mediendarstellung sowie das generelle Verhältnis zwischen Rax und Sloane sehr interessant und facettenreich dargestellt. Auch in den Interludes, die ja schon in Teil 1 die stärksten Elemente des Romans waren, läuft Wendig stellenweise zur Hochform auf.

Allerdings hat der Autor ein großes Problem, wenn er die Entwicklung von Figuren über einen längeren Zeitraum darstellen will. Das kann Wendig wirklich gar nicht und daher drückt er sich darum, wo es nur geht, indem er immer wieder Lücken in der Erzählung lässt, in denen bestimmte für die Entwicklung der Figuren wichtige Ereignisse geschehen sein sollen. Besonders bei zwischenmenschlichen Beziehungen versagt Wendig komplett dabei, deren Anbahnung und Entwicklung für den Leser nachvollziehbar (oder überhaupt!) darzustellen. Eine Figur verliebt sich und beginnt eine Beziehung? – Das ist wohl zwischen Teil 1 und 2 passiert, in Teil 2 bekommen wir das Paar einfach präsentiert. Zwischen zwei Teammitgliedern knistert es? – Der Leser bekommt das erst mit, als die beiden aus heiterem Himmel in einer völlig unpassenden Situation Sex haben. Eine Figur will scheinbar schon länger etwas von einer anderen? – Das merken wir erst, als er seine Angebetete mitten in einem Gespräch über ein ganz anderes Thema plötzlich fragt, ob sie etwas mit ihm etwas trinken gehen will. Da kann man nur den Kopf schütteln. Diese Art von Figurendarstellung ist einfach nur katastrophal und erinnert eher an eine schlechte Fanfiction.

Auch die Darstellung der aus den Filmen bereits bekannten Figuren ist stellenweise sehr fragwürdig und teilweise out-of-character. So verleiht Han Solo in dem Roman beispielsweise ohne Not den Falken an eine Person, die er eben erst kennengelernt hat. Ich denke, wir sind uns alle (bis auf Chuck Wendig) einig, dass Han das niemals tun würde. Die Darstellung von Leia tut nach dem brillanten und tiefgründigen Leia-Roman Bloodline von Claudia Gray fast weh. In Life Debt spricht Leia stellenweise im flapsigen Wendig-Stil und wird als sehr radikal und völlig leidenschaftsgeleitet dargestellt („I would burn down the whole galaxy, if I thought it was right“). Eine etwas differenziertere Darstellung dieser Figur hätte man sich da doch gewünscht. Aber vielleicht kann man das seltsame Verhalten Leias ja auf die Schwangerschaftshormone schieben, denn in Life Debt ist Leia schwanger mit ihrem Sohn Ben.

Nachspiel: Lebensschuld (20.03.2017)
Nachspiel: Lebensschuld (20.03.2017)

Was die Handlung angeht, so ist sie dieses Mal etwas interessanter und „größer“ als im ersten Teil, aber dennoch liegt der Fokus der Handlung rund um das Team abermals auf einer Aneinanderreihung von Actionszenen. Der stark zerfledderte Aufbau der Aftermath-Trilogie, das ständige Dazwischenschieben der Interludes und die Zeitsprünge tun dem Spannungsbogen nach wie vor nicht gut. Ich persönlich war nie von dem Buch gefesselt oder wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Helden es in Life Debt oft zu einfach haben. Mit kleinsten Teams und absurd-naiven Plänen stürmen sie, immer einen locker-flockigen Spruch auf den Lippen, Bastionen des Feindes oder gar Sternzerstörer und fast nie scheinen sie ein ernsthaftes Problem zu bekommen. Glaubhaft ist das, was Wendig uns da präsentiert, selbst in der Star Wars-Galaxie nicht mehr.

Von der Befreiung von Kashyyyk war ich ziemlich enttäuscht, da Wendig nur sehr wenig auf die Kultur der Wookiees eingeht und uns keine Identifikationsfigur auf Seiten der Wookiees anbietet. Das finde ich sehr schade, da es ja eigentlich ihre Geschichte ist, die hier erzählt wird. Was mich auch sehr wundert, ist die mehrfache Bezeichnung der Wookiees als „beasts“ durch den Erzähler. Gerade Wendig, der sich damit brüstet, sehr politisch korrekt zu sein und homosexuelle und nun auch genderneutrale Figuren in seine Geschichten zu integrieren (was ich voll unterstütze!), sollte doch eigentlich wissen, dass so etwas in der Star Wars-Galaxie wohl als Rassismus und Abwertung gegen Wookiees gelten würde.

Wenigstens der Showdown am Ende des Romans konnte mich halbwegs mitreißen. Allerdings musste ich auf diesen Showdown zu lange warten und ein Gefühl der Bedrohung durch das Imperium kam im Verlauf der Handlung nie so richtig auf, da die Pläne des Flottenadmirals Rax lange Zeit viel zu unkonkret und schwammig blieben.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Aftermath: Life Debt einige handwerkliche Fehler des Vorgängers ausbügelt und auch in puncto Handlung eine Schippe drauflegt. Allerdings scheitert Wendig immer noch an zu vielen Stellen daran, Figuren angemessen darzustellen. Als jemand, für den Figurendarstellung und innere Handlung in einem Roman das Wichtigste sind, kann ich diese Mängel nur schwer verzeihen. Um die Fortschritte anzuerkennen, gebe ich Life Debt aber ein Holocron mehr als dem absoluten Nullpunkt meiner Star Wars-Leseerfahrungen, Aftermath. Damit kommt Life Debt für mich auf zwei Holocrons.

Der Rezensent vergibt 2 von 5 Holocrons!
Die Rezensentin vergibt 2 von 5 Holocrons!

Chuck Wendigs Aftermath: Life Debt könnt ihr hier¹ bestellen. Die deutsche Ausgabe kommt am 20.03.2017 unter dem Titel Nachspiel: Lebensschuld in den Handel und kann hier¹ vorbestellt werden.

3 Kommentare

  1. Erst einmal stimme ich dir zu, dass Wendig sich hier massiv gesteigert hat. Inhaltlich ist „Life Debt“ deutlich interessanter als Band 1, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass die Story Group nach der Veröffentlich von Episode VII nicht mehr so viel geheimhalten muss.
    Auch der Sprachstil ist angenehmer, wenn auch immer noch eher kurz. Aber ich musste mich nicht derart durch das Buch quälen wie in Band 1.
    Deine Kritik halte ich größtenteils für berechtigt. Vor allem den Punkt mit den fehlenden zentralen Stellen für Figurenentwicklung unterstütze ich vollkommen. Auch deine angesprochenen Fehlcharakterisierungen finde ich nachvollziehbar, auch wenn ich das nicht so eindeutig sehen würde – durch die Weggabe des Falken hat Han den Transport vieler Flüchtlinge ermöglicht, was sicher ein guter Beweggrund war. Auch Leias Kommentar kann einfach als Ergebnis einer erhitzten Stimmung angesehen werden.
    Ich finde es auch begrüßenswert, dass jetzt in Star Wars auch homosexuelle Charaktere auftauchen – das hat ja auch nichts mit einer politischen Meinung zu tun, Homosexuelle sind nunmal real vorhanden und es wäre unlogisch, wenn es sie in der Star Wars-Galaxie nicht gäbe. Hier finde ich allerdings, dass es der Herr Wendig übertreibt. Homosexualität sollte normal erscheinen, hier kommt das Thema so auffällig und häufig vor, dass es wieder unrealistisch erscheint. Einen Mangel gleicht man nicht aus, indem man übertreibt.
    Widersprechen muss ich dir auch bei dem Punkt, dass Wookies als „beasts“ bezeichnet werden. Hier ist völlig eindeutig ersichtlich, dass an diesen Stellen nicht Wendig der Erzähler ist, sondern ein personaler Er-Erzähler die Denkweise des imperialen Gouverneurs widergibt und dabei auch dessen bewusst abwertende Wortwahl benutzt.
    Die Handlung finde ich spannend, wenn auch nicht überragend. Da es für mich wenige große störende Elemente gibt, hätte ich drei Holocrons vergeben. Aber das ist ja auch kein großer Unterschied.

    1. Danke für deine positive Rückmeldung und Zustimmung in so vielen Punkten.

      Ja, ich habe auch zwischen 2 und 3 Holocrons geschwankt, bin dann aber doch auf die 2 Holocrons gegangen, eben weil die Figuren teils so plump geschrieben waren. Wenn es halbe Holorons gäbe, hätte ich wohl 2,5 vergeben.

      Das mit der personalen Erzählperspektive des Gouverneurs stimmt für eine Stelle, an der der Ausdruck „beasts“ vorkommt. An einer anderen Stelle kommt es aber in einer allgemeinen Beschreibung der Zerstörung vor, die die Revolte der Wookiees auslöst. Davor wird zuletzt aus Jas‘ Perspektive erzählt und dann ein Makrofokus eingenommen und am Ende des Absatzes heißt es dann: „The beasts ululate.“ Ob es bis zu Schluss des Absatzes Jas‘ Perspektive darstellen soll und Jas also diejenige ist, die die Wookiees als „beasts“ bezeichnet, ist nicht ganz klar. Falls es Jas‘ Perspektive sein soll, wird die Bezeichnung zumindest an der Stelle nicht kritisch hinterfragt, da Jas ja zu den positiv besetzten Helden gehört.

      Ich dachte auch zuerst, dass das mit den „beasts“ eine geschickte Charakterisierung der Imperialen und ihrer abwertenden Denkweise ist, war dann aber enttäuscht, dass der Ausdruck auch in anderem Zusammenhang vorkam. V.a. da es kaum einen Gegenpol gab in Form von Passagen aus Sicht von Wookiees. Das ergab für mich insgesamt dann doch eher einen Blick von oben herab auf die Wookiees.

  2. Schade, nachdem ich soviel schlechtes über die Reihe gehört habe, wäre die Befreiung Kashyyyks für mich der einzige Grund gewesen mir das Buch (und dann wahrscheinlich auch erstmal den Vorgänger)zu kaufen.
    Aber offensichtlich kann ich mir das auch sparen.
    In den Legends wurde die Befreiung Kashyyyks nur in Galactic Battlegrounds genauer behandelt, oder? Vielleicht sollte ich da die Wookiee-Kampagne mal wieder spielen…

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