Vanity Fair: Interview mit Showrunnerin Leslye Headland zu The Acolyte

The Acolyte ist eine der angekündigten Star Wars-Serien, die zukünftig auf Disney+ laufen sollen. Obwohl es bisher weder ein Veröffentlichungsdatum noch genaue Informationen über die Story der Serie gibt, ist schon bekannt, dass sie gegen Ende der Ära der Hohen Republik, circa 100 Jahre vor Episode I spielen und auch Anleihen aus den Legends enthalten soll. Vanity Fair hat mit Showrunnerin Leslye Headland über ihr Projekt gesprochen. Wir haben das Interview für euch in voller Länge übersetzt.

Star Wars: The Acolyte
Star Wars: The Acolyte

Vanity Fair: Wie erklärst du einem Star-Wars-Fan, der vielleicht noch nicht mit den Geschichten aus den Büchern vertraut ist, die Hohe Republik?

Leslye Headland: Wie ich die Hohe Republik und speziell den Zeitraum, in dem meine Serie spielt, erklären würde, ist, dass sie etwa 100 Jahre vor Die dunkle Bedrohung spielt. Viele dieser Figuren [aus den Prequels] sind also noch gar nicht geboren worden. Die Frage, die ich mir beim Anschauen von Die dunkle Bedrohung immer gestellt habe, war: „Wie ist es denn zu dieser Situation gekommen?“ Verstehst du, was ich meine? Wie konnte es dazu kommen, dass ein Sith-Lord den Senat infiltrieren kann und keiner der Jedi das bemerkt? Was ist schief gelaufen? Was sind die Szenarien, die uns zu diesem Moment geführt haben? Das würde ich sagen. So würde ich es meinen Freunden beschreiben, vor allem meinen Nicht-Star-Wars-Freunden.

Hundert Jahre sind in unserer Welt ein gewaltiger Sprung. Es gibt unvorstellbare Veränderungen in der Zeitspanne eines Jahrhunderts. Trifft das auch auf die Welt von Star Wars zu? Natürlich gibt es Raumschiffe und Lichtschwerter, aber ist die Hohe Republik technologisch eine andere Ära?

Absolut. Ich meine, ich liebe die Tatsache, dass George Lucas, als er die Episoden IV bis VI [auch bekannt als die Original-Trilogie] gedreht hat, alles so aussehen lassen wollte, als ob es eine besondere Art von Verfall gäbe. Es ist eine lebendige Sci-Fi-Fantasiewelt, keine glatte, gepflegte Ästhetik. Er hat wirklich etwas angestrebt, das zu dieser Zeit wohl etwas revolutionär war.

Als er sich daran machte, die Prequels zu drehen, entschied er sich, die Technologie und all diese Dinge zu nutzen, um eine viel glattere, besser aussehende, fast fortschrittlicheren Zeit darzustellen. Das ist es, was an Star Wars so seltsam ist. Je weiter man zurückgeht, desto besser sind die Dinge. „Vor langer Zeit“ wird tatsächlich futuristischer. Während wir also diese Art von Welt erschaffen, versuchen wir, Georges Konzept weiterzuführen: dass die Dinge umso aufregender, neuer, eleganter und interessanter aussehen, je weiter man zurückgeht.

Die Art, wie du das beschreibst, erinnert mich an die Römerzeit, eine Zeit, in der dieses Imperium sehr mächtig und technologisch ziemlich fortgeschritten war. Dann fällt diese Region der Welt in eine Periode der Barbarei, und es folgt das dunkle Mittelalter. Ist das so ähnlich wie das, wovon du hier sprichst? Ist die Hohe Republik eine Ära der Bildung, des Fortschritts und des Glanzes, während die Star Wars-Filme und -Serien, die wir am besten kennen, aus einer Zeit des Zusammenbruchs und des Verfalls stammen?

Ja. Wir verwenden tatsächlich den Begriff der Renaissance oder des Zeitalters der Aufklärung. Es muss nicht unbedingt zu einem Aufstand der Menschen in den Expansionsregionen oder in den inneren Welten kommen, weil es allen so gut geht. Für die Ära, die ich erkunde, könnte eine weitere gute Analogie die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in den USA sein, wo wir sehr stark in dieses isolationistische Konzept hineingerieten: Wir helfen niemandem. Wir wollen diesen speziellen Vibe, den wir haben, schützen. (Lacht.) ‚Vibe‘ ist definitiv nicht das Wort, das sie benutzt hätten.

Die Anführer dieser galaktischen Ära ignorieren also lieber Konflikte oder Leiden, als sie zu lösen?

Die Hohe Republik ist in vielerlei Hinsicht so golden. Die Uniformen der Jedi sind gold und weiß, und es ist fast so, als würden sie nie dreckig werden. Als ob sie nie draußen unterwegs wären. Die Idee ist, dass sie diese Art von Uniformen haben konnten, weil sie so wenig in Auseinandersetzungen verwickelt waren. Da stellt sich mir natürlich die Frage: „Was ist denn sonst noch los?“ Man kann nicht einfach bei Georges Die dunkle Bedrohung landen, wenn alles gut läuft.

Es muss gut laufen auf Kosten von was? Worum wird sich nicht gekümmert? Wovor verschließen wir die Augen, was ein Jahrhundert später zum Aufstieg von jemandem wie Palpatine führen könnte? Ja, er ist ein einzelner Bösewicht, aber er ist ein Bösewicht, der das gesamte Regierungssystem komplett untergräbt. Viele andere Dinge müssen unter der Oberfläche vor sich gegangen sein.

Und wir wissen, dass die Jedi das völlig übersehen.

[Sie] reden ständig von Gleichgewicht. Wenn sich die helle Seite überall verbreitet, was passiert dann mit der dunklen Seite? Wie manifestiert sie sich? Was tut sie, um zu überleben? Denn überleben tut sie später in der Welt ganz eindeutig.

Ich habe gehört, dass du The Acolyte als ein Mysterium beschrieben hast. Ist das also das Mysterium, was sich unter der Oberfläche dieser glänzenden Welt befindet?

Ja – sind die Dinge das, was sie zu sein scheinen? Sind die Dinge wirklich so gut, wie alle behaupten? Das ist die große Frage jeder Gesellschaft, die diese großen Zeiten des Aufschwungs erlebt. Es gibt eine Form der Gegenkultur oder eine Form des Untergrunds, ob gut oder schlecht, verstehst du, was ich meine?

Was sind einige deiner filmischen Einflüsse für die Serie?

Jon Favreau hat gesagt, dass man bei der Arbeit in dieser Welt auf das zurückgreifen sollte, wovon George inspiriert wurde. Es gab Western und dann natürlich Akira Kurosawas Samurai-Filme, und die Tatsache, dass er die Rolle des Obi-Wan Kenobi ursprünglich Toshiro Mifune angeboten hat…

Ich ging also mehr in Richtung Martial-Arts-Filme und Geschichten, die etwas persönlicher und weniger global und galaktisch sind. Diese Krieger waren auf Missionen, die zutiefst persönlich waren, in denen Menschen sich ungerecht behandelt fühlten und das in Ordnung bringen wollten. Wuxia-Filme und Martial-Arts-Filme von King Hu und den Shaw-Brüdern, wie Come Drink With Me und Touch Of Zen. Das sind Mönche, die auch Martial-Arts-Helden sind.

Was kannst du darüber verraten, wie The Acolyte entstanden ist?

Ich habe Kathy Kennedy das Projekt vorgestellt und wir haben es zusammen mit [Lucasfilm-Entwicklern] Michelle Rejwan und Rayne Roberts entwickelt, die meine wichtigste Bezugsperson bei diesem Projekt war. Sie war diejenige, die mich buchstäblich gefunden hat und diese Idee bis ganz nach oben begleitet hat. Wir ließen uns wirklich darauf ein, und das Spannende an solchen [beeinflussenden] Geschichten ist, dass man nicht immer genau weiß, wer die Bösen und wer die Guten sind. Man ist sich deshalb nicht ganz sicher, ob man der Heldin in diesem Fall vertrauen kann.

Ehrlich gesagt war meine Vorstellung bei Kathy das erste Mal, dass alle im Raum Frauen waren. Ich habe schon viele solcher Präsentationen gemacht, und ich dachte: ‚Das ist ja verrückt, dass bei meinem Meeting [bei einem großen Franchise] nur Frauen anwesend sind. Das war ziemlich cool.

Da dies die erste Leinwandgeschichte ist, die aus der Ära der Hohen Republik stammt, welches Ziel verfolgten sie damit? Wollten sie aus dem gut erschlossenen Star-Wars-Universum ausbrechen?

Die Wahrheit ist, dass ich als großer Fan mit dieser Idee zu ihnen kam. Und ich sagte: „Ich denke, der beste Platz dafür ist in einer Ära, die ihr noch nicht erkundet habt.“ Sie waren sehr enthusiastisch. Es war nicht so, dass sie diese [existierende] Welt nicht erkunden wollten, aber ich glaube, dass sie das bereits gemacht haben, denn The Mandalorian und viele der anderen Fernsehprojekte setzten ja auf altbekannte Figuren.

Ich ging als Fan an die Sache heran, der sich viel mehr für die Rollenspiele begeisterte, aus denen sich das Erweiterte Universum speist. Ich setzte mich in den 90er Jahren intensiv damit auseinander und lernte dann [die animierte Serie] The Clone Wars kennen. Ich kannte die Timeline wirklich gut. Und ich war der Ansicht: „Wenn man Star Wars aus der Perspektive der Bösewichte erkunden will, ist der beste Zeitpunkt dafür, wenn die Bösewichte zahlenmäßig stark unterlegen sind. Wenn sie eigentlich die Underdogs sind, mangels eines besseren Wortes.“ Dies wäre also diese Ära.

Kathy Kennedy und ich sprachen darüber, dass Star Wars-Literatur als eine Art Versuchslabor für das Geschichtenerzählen dienen kann. Sie haben in den letzten Jahren eine Menge Bücher über die Hohe Republik veröffentlicht. War das ein Faktor bei der Entwicklung der Serie?

[Die Verlage] hatten gerade Phase Eins der Hohen Republik veröffentlicht, und ich glaube, es war einfach eine Art Kismet. „Eigentlich könnten wir das machen. Das ist etwas, wozu wir jetzt bereit sind…“ Die eingefleischten Fans sagen eher: „Okay, ich hab es verstanden. Ich weiß, was das ist. Ich weiß, wo ich bin.‘ Ich habe etwas so Spezifisches vorgeschlagen, das nur in dieser Zeit funktionieren würde. Und [Lucasfilm] meinte: „Das ist tatsächlich eine Ära, die wir gerne weiterverfolgen würden.

Es gibt immer eine Menge Druck, was Star Wars angeht. Was steht bei dieser Serie aus Sicht der Franchise auf dem Spiel?

Ich fühle viel Druck, aber ich fühle auch – seltsamerweise – eine enorm große Freiheit, weil ich nicht das Gefühl habe, dass ich es mit den klassischen Figuren zu tun habe, was viel angsteinflößender ist… Ich meine, du könntest mir nicht genug Geld dafür zahlen, in der Luke-Skywalker-Timeline zu spielen. Ich würde sagen: „Nein, danke!“ [Lacht.] Es ist einfach zu gewaltig. Es gibt zu viel Ikonographie und Intensität bei diesen speziellen Figuren.

Ich dagegen glaube, ich erzähle eine Geschichte, die mehr von einer Zeitspanne handelt, über die wir noch nicht viel wissen. Lass uns ein bisschen hier rumhängen und herausfinden, wie Star Wars aussieht, wenn die Guten tatsächlich an der Macht sind. Was passiert dann? Wir wissen, wie es am Ende ausgeht, also lasst uns das untersuchen. Was sind die Löcher, die wir in das Geschehene stechen können?

Kannst du mir mir über die Notwendigkeit sprechen, über die Skywalker-Ära hinauszuwachsen?

Ich meine, das ist so eine gute Frage. Und ich denke, es gibt wahrscheinlich Leute, die dir nicht zustimmen würden. Es gibt Leute, die sagen: „Das ist Star Wars. Star Wars ist die Skywalker-Saga“. Für jemanden wie mich, der Star Wars nicht nur durch die Filme, sondern auch durch Rollenspiele kennengelernt hat, denke ich: „Ihr versteht nicht, welche Art von Eskapismus mir das als Kind geboten hat – ein Kind, das nicht hineinpasste, das viele, viele Verhaltensprobleme hatte.“ Ich konnte mich mit meinen Freunden in diese Welt flüchten und so tun, als wäre ich ein Teil dieser Welt. Es war nicht so: ‚Und jetzt musst du eine Szene aus dem originalen Film nachspielen‘.

Du konntest dir deine eigenen Szenarien ausmalen.

Meine ersten Schreibversuche waren im Grunde das, was man Star Wars-Fanfiction nennen könnte, das heißt, ich ließ mich von [Timothy Zahns Star Wars-Roman von 1991] Erben des Imperiums inspirieren. Ich ließ mich von einer bestimmten [Gaming] Session mit meinen Freunden inspirieren, und dann fing ich an zu schreiben. „Was wäre, wenn meine Figur auch in einem anderen Szenario wäre, und was würde sie dort tun?“

Das macht für mich die Magie von Star Wars aus. Es sind nicht nur die Figuren. Es ist nicht nur dieser spezielle Monomythos. Das ist ein Teil davon. Das ist Teil der Langlebigkeit. Aber es fühlt sich nach einer Welt an, die so viel mehr ist als eine Geschichte. Aber ich will auch nicht, dass es so klingt, als sei es nicht eine der besten Geschichten, die unsere Kultur je geschaffen hat.

Star Wars spielt in einer Gesellschaft, in der es einen großen spirituellen Fortschritt und auch einen großen technologischen Fortschritt gibt. Und dazwischen versuchen die Menschen, ihre Menschlichkeit zu bewahren, während sie von diesen beiden Polen angezogen werden.

Es ist ungewöhnlich, auf Teile der Popkultur zu verweisen, die eine extreme Repräsentation von Spiritualität haben. Das Konzept von Gott ist so ein schweres Konzept. Das Konzept der Religion ist ein wirklich unterdrückendes Konzept, besonders für Menschen wie mich und viele, viele andere. Was du mir gerade klargemacht hast, ist, dass ein Teil der langanhaltenden Wirkung darin besteht, dass Star Wars eine spirituelle Geschichte ist.

Selbst Tolkien ist nicht so spirituell wie die Macht oder wie Yoda. Ich erinnere mich, dass ich als Kind in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen bin… Wenn Yoda sagt: ‚Erleuchtete Wesen sind wir, nicht diese rohe Materie‘, habe ich das schon als Kind viel besser verstanden als Katechismen und Sakramente und all diese anderen Dinge. Ich habe das sofort verstanden: Dass ich auch einen Geist habe, nicht nur einen Körper. Dass George das getan hat, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Ist das auch Teil von The Acolyte?

Das wäre meine große Hoffnung, wenn ich in dieser Welt spielen darf: weiter eine spirituellen Geschichte zu durchsuchen, die die Identität oder das Schicksal von jemandem verändert. Das ist für mich das Herzstück der Sache.

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