Rezension: Tears of the Nameless von George Mann schickt uns auf emotionale Achterbahnfahrt

Only through sacrifice of many Jedi will the Order cleanse the sin done to the nameless.

Claudia Gray: Master and Apprentice

Über fünf Jahre ist es mittlerweile schon her, dass Claudia Grays Roman Master and Apprentice erschien und uns diese Jedi-Prophezeiung lieferte, die dann später im Kontext der Hohen Republik auf einmal hochrelevant erschien. Mich hat dieser Satz seit jeher fasziniert, da er aus den gruseligen, grausamen Namenlosen auf einmal Opfer macht und somit eine ganz neue Perspektive aufzeigt. Schon ganz heiß war ich daher seit Monaten auf George Manns Roman Tears of the Nameless, der im Titel dieselbe Perspektive suggeriert und damit auch Aufklärung über die Bedeutung der Prophezeiung und Hintergründe zu den Namenlosen verspricht. Am 24. September ist der Young-Adult-Roman nun bei Disney-Lucasfilm Press erschienen, und ich konnte ihn endlich lesen. Und ja, ich bin hellauf begeistert – und zwar bei Weitem nicht nur wegen neuer Enthüllungen zu den Namenlosen!

Zur Handlung

Da neben den Namenlosen nun auch die alles zerfressende Seuche die Galaxis heimgesucht hat und Marchion Ro beides zu kontrollieren scheint, forscht der junge Jedi-Ritter Reath Silas mithilfe seines Freundes, des Padawans Amadeo Azzazzo, unermüdlich nach Ursachen und Bekämpfungsmöglichkeiten beider Phänomene. Dabei sieht er sich gezwungen, auch den wenig vertrauenswürdigen gefallenen Jedi Azlin Rell als Quelle heranzuziehen. Als Reath auf eine heiße Spur stößt, die das Rätsel des Ursprungs der Namenlosen lösen könnte, begeben er und Amadeo sich auf zwei verschiedene Missionen, deren Ziele jedoch miteinander verknüpft sind. Doch selbstverständlich sind auf beiden Missionen die Nihil mit ihren Namenlosen nie weit entfernt und machen Jagd auf die jungen Jedi …

Reath und Amadeo: Liebenswerte Protagonisten

Grundlegende Bedingung dafür, dass ich einen Roman gerne lese, sind immer spannende, sympathische Protagonisten und hier macht Tears of the Nameless schon mal alles richtig. Reath Silas als Bücherwurm und Wissenschaftler unter den Jedi war von seinem ersten Auftritt in Into the Dark an schon ein stark angelegter Charakter, konnte aber bisher noch nicht so richtig in seiner Parade-Disziplin glänzen. Das ist nun in Tears of the Nameless anders: Hier stehen mal nicht Heldentaten auf dem Schlachtfeld im Mittelpunkt, sondern der nerdige Jedi mit seiner Forschung treibt die Handlung maßgeblich voran. Echt erfrischend! Doch Reath ist auch auf persönlicher Ebene eine spannende Figur: Ähnlich wie Elzar Mann bei den erwachsenen Figuren spürt er sehr stark den Druck, der auf seinen Schultern lastet, denn der gesamte Orden und die Republik verlassen sich darauf, dass er Ergebnisse liefert. Dabei ist er sich nach dem plötzlichen Abgang seines Meisters Cohmac noch nicht einmal sicher, ob er es überhaupt verdient hat, zum Jedi-Ritter aufgestiegen zu sein. In diese Wunde stößt der im Tempel gefangene gefallene Jedi Azlin Rell, der Reath mit seinem Wissen um die Namenlosen ködert und ihn nebenbei versucht zu manipulieren. Mit all seinen menschlichen Schwächen ist Reath eine Figur, mit der wir als Lesende jeden Durchbruch seiner Forschung feiern, jede persönliche Weiterentwicklung genießen, aber auch die tiefsten Ängste und Zweifel im Angesicht der Namenlosen durchschreiten können, ohne je aufzuhören, ihn anzufeuern.

Ihm gegenübergestellt wird der Padawan Amadeo Azzazzo, der bereits in der Kurzgeschichte „The Call of Coruscant“ aus der Anthologie Tales of Light and Life ein Aufsehen erregendes Debüt hatte, das ihn direkt zum Fan-Liebling aufsteigen ließ. Hier hat er nun endlich seine erste Hauptrolle in einem Roman und man muss ihn einfach gerne haben. Obwohl er und Reath komplett andere Rollen einnehmen – Reath immer im Archiv oder Labor, Amadeo stets auf Außenmissionen mitten im Geschehen – zeigen doch beide die Bereitschaft, aufeinander einzugehen, und Interesse an der Erfahrungswelt des anderen. Dadurch werden eine fruchtbare Zusammenarbeit und eine Freundschaft möglich. Daneben hat mich Amadeo aber auch besonders in Kombination mit seinem Meister fasziniert. Amadeo und Mirro Lox sind zwei, die sich gefunden haben und einfach zusammengehören: immer optimistisch, offen und bereit zu helfen, aber auch stets heiß auf Action und genial koordinierte gemeinsame Stunt-Einlagen mit Macht und Lichtschwert, in deren Perfektionierung sie viele Stunden Training investieren und für deren Durchführung sie einander absolut vertrauen müssen. Selten habe ich das enge Band zwischen Meister und Padawan in einem Roman so sehr gespürt wie bei diesem Paar. Und umso härter schlägt dann die Sorge um die beiden zu, wenn sie mit den Namenlosen und wir als Lesende mit der Tatsache konfrontiert sind, dass dieses Dream-Team ein jähes Ende nehmen könnte.

Eindringlicher namenloser Schrecken

Wobei wir schon bei einer weiteren unglaublichen Stärke des Romans wären: der Darstellung des Leidens der Jedi im Angesicht der Namenlosen. Tears of the Nameless ist ja nun beileibe nicht der erste Roman, der uns zeigt, wie Jedi unter Angstzuständen leiden, ihren Verstand verlieren und schließlich zu Staub zerfallen, wenn die Namenlosen ihnen ihre Lebensenergie aussaugen. Aber glaubt mir, so eine eindringliche Prosa wie die von George Mann habt ihr in diesem Kontext noch nicht gelesen! George Mann nimmt uns tief mit in die Gedanken- und Gefühlswelt der betroffenen Jedi, lässt uns miterleben, wie deren Wahrnehmung verschwimmt, sodass wir selbst die Orientierung verlieren und nicht mehr wissen, was wahr und was Halluzination ist. Er lässt uns miterleben, wie Figuren, die eben noch stark und entschlossen waren, zu einem Häufchen Elend (oder in einigen Fällen eben auch einem Häufchen Staub) reduziert werden. Und das tut richtig weh. Auf der emotionalen Achterbahnfahrt, die Tears of the Nameless ist, freuen wir uns in einem Moment mit den Figuren über ein Erfolgserlebnis und spüren im nächsten Moment mit ihnen die komplette Hoffnungslosigkeit angesichts der Namenlosen.

George Mann erwähnt in seinem Nachwort, dass er Tears of the Nameless in einer persönlich extrem schwierigen Zeit geschrieben hat, in der er mit einem Hirntumor diagnostiziert wurde, bei dem zunächst lange Zeit unklar war, ob er bösartig ist. (Mittlerweile sehe es an medizinischer Front aber sehr viel besser aus!). Das Schreiben des Romans sei in dieser Zeit auch kathartisch für ihn gewesen. Und das merkt man dem insgesamt ziemlich düsteren Tears of the Nameless auch an. Wahrscheinlich packen uns die existenziellen Ängste der Jedi so sehr, weil sie eben nicht komplett ausgedacht sind, sondern sich in ihnen die ganz realen Ängste des Autors widerspiegeln. Was ich aber auch sehr stark in dem Roman sehe, ist nicht nur Angst und Negatives, sondern auch viele positive Vorbilder in Form diverser Jedi, die die Philosophie des Ordens nutzen, um mit eben solchen existentiellen Ängsten umzugehen: Jeden Moment bewusst genießen. Dankbar sein. Vertrauen haben. Sich etwas trauen. Gefühle akzeptieren und verarbeiten. Miteinander offen sprechen. Und am Ende liefert der Roman so dann doch diese nie kleinzukriegende Hoffnung – wie sich das für Star Wars gehört!

Myths and Fables reloaded

Wo George Mann ist, dürfen aber natürlich auch seine geliebten Mythen und Legenden nicht fehlen, die sich schon durch sein gesamtes Schaffen in Star Wars ziehen und die in diesem Roman sogar einmal als „the myths and fables of the Jedi Archive“ erwähnt werden. Und während Reath in eben jenen Archiven nach den Ursprüngen der Namenlosen sucht, tobt sich George Mann legendär einmal komplett aus, liefert uns Häppchen für Häppchen eine faszinierende und auch lehrreiche Hintergrundgeschichte zu den Kreaturen und schafft eine Menge neue, spannende Lore rund um eine untergegangene Kultur. Dabei macht es unglaublich viel Spaß, Reath bei seinen Recherchen zu begleiten und immer weitere Hinweise zu sammeln und so viel Neues und Relevantes für das gesamte Projekt The High Republic zu erfahren. Mich hat die ganze Recherche-Handlung sogar so sehr fasziniert und interessiert, dass ich an einer Stelle aufgesprungen bin und angefangen habe, selbst in meiner eigenen kleinen Jedi-Bibliothek zu recherchieren und nachzuschauen, ob George Mann nicht in einer seiner Legenden-Geschichten einen Hinweis auf die Hintergrundgeschichte der Namenlosen versteckt hat. (Leider habe ich nichts gefunden. Das wäre sonst ein echtes Highlight gewesen!)

Fazit

So sehr emotional mitgenommen wie Tears of the Nameless hat mich schon lange kein Roman mehr. Ich war quasi von Anfang bis Ende „on the edge of my seat“ (manchmal buchstäblich), habe mit Reath, Amadeo und Co. mitgefiebert und -gelitten, Höhen und Tiefen durchschritten. Die Eindringlichkeit, mit der George Mann die Hoffnungslosigkeit der Jedi angesichts Namenlosen beschreibt, sucht ihresgleichen. Und trotzdem legt man das Buch am Ende mit einem Gefühl der Hoffnung beiseite. Was soll ich noch sagen? Ein absolutes Meisterwerk!

Bewertung: 5 von 5 Holocrons
Bewertung: 5 von 5 Holocrons
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Star Wars: Die Hohe Republik ist ein mehrjähriges Buch- und Comicprogramm, das hunderte Jahre vor den Skywalker-Filmen spielt und die Jedi in ihrer Blütezeit zeigt. Weitere Infos, News, Podcasts und Rezensionen gibt es in unserem Portal und in der Datenbank. Beachtet auch unsere Guides zur Lesereihenfolge von Phase I, Phase II und Phase III.

7 Kommentare

  1. Ich hab jetzt mal nur das Fazit gelesen um mir nicht zuviel vorwegzunehmen. Aber das sind doch super Aussichten auf die 2. Welle! Sein Jugendroman aus der 2. Phase fand ich nicht ganz so dolle. Aber „Das Auge der Finsternis “ als Auftakt zu Phase 3 hat mich richtig gefesselt . Schön zu lesen, dass George Mann mit „Tears of the Nameless“ wieder richtig abgeliefert hat. Amadeo als neuen Charakter fand ich schon in der Kurzgeschichte sehr Interessant und wollte auch direkt mehr von ihm lesen. Freu mich drauf! Jetzt geht’s erstmal mit „Flucht von Valo“ weiter…

    1. Ich denke, dann darfst du dich auf ein tolles Leseerlebnis freuen, denn wir scheinen da wohl einen ähnlichen Geschmack zu haben. Ich fand „Quest for the Hidden City“ auch eher mau, aber „Eye of the Darkness“ super und auch ich war seit der Kurzgeschichte ein riesiger Fan von Amadeo! 😍

  2. Was kann ich sagen außer: Dieses Buch ist toll! Neben Temptation of the Force bisher das absolute Highlight der dritten Phase, und ich bin George Mann zutiefst dankbar für die Figurendarstellungen und Themenschwerpunkte, die er für Tears gewählt hat. Das Nachwort des Autors hat mich auch sehr berührt und ich kann insgesamt nur Ines‘ Rezension unterschreiben. Ich hoffe, die 3. Welle der 3. Phase wird genauso gut wie die zweite, denn da hat mich bisher wirklich jedes Buch abgeholt.

  3. Ich bin nun seit Mittwoch mit dem Roman durch und kann mich Ines nur anschliessen. Ich finde das Buch gehört mit zu dem Besten, was The High Republic mir bisher an Literatur geliefert hat. Von Anfang bis Ende spannend und emotional bewegend. Sehr abgeholt hat mich auch diese kleine Mischung aus Indiana Jones und Star Wars. Ich liebe einfach das Erkunden alter Mythen und Ruinen! Wahrscheinlich bin ich selbst eine Mischung aus Reath und Amadeo 😉
    Endlich kommt auch das Mysterium um die Nameless und Blight mal aus Sicht der Jedi voran und lichtet sich langsam um auf das große Finale hinzuarbeiten. Jetzt muss nur Vernestra endlich mal ihren Path raushauen… Ich bin sehr gespannt wie es in Echoes of Fear 3# und 4# weitergeht und ob wir das Erlangen eines Rods durch die Jedi dort schon sehen oder uns bis zum nächsten Roman gedulden müssen.
    Die Aufnahme des Jedi-Schildes aus Phase II als Geschenk von Cohmac an Reath fand ich auch eine sehr schöne Idee.
    Mein Lieblingssatz im Buch – Reath zu Vernestra: “I got the hand you sent.“

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