Fans der Doktor Aphra-Reihe kommen im vierten Band voll auf ihre Kosten. Wer die genial-labile Archäologin nicht oder nur wenig kennt, wird danach möglicherweise ziemlich angetan sein.
Doktor Aphra IV: Liebe in Zeiten des Chaos enthält die US-Ausgaben #20 bis #25 und erzählt eine recht kompakte Geschichte, die aber vollgestopft ist mit interessanten, vielfältigen Figuren, Turbulenzen, neuen Schauplätzen und Ideen. Für mich gab es tolle Aha-Momente und sehr zufriedenstellende Wiedersehen mit lieb gewonnenen und zum Teil ikonischen Charakteren – allen voran Darth Vader.
Der Autor der Geschichte ist Simon Spurrier. Die Zeichnungen stammen von Kev Walker, dem Tuschezeichner Marc Deering und dem Koloristen Java Tartaglia. Der Band erschien am 23. Juli bei Panini. Erhältlich ist er entweder als Softcover oder limitiertes Hardcover. Beide wurden von Ashley Witter gestaltet.
Im Grunde geht es darum: Aphra ist in Gefangenschaft, in einem ganz besonderen imperialen Gefängnis. Es handelt sich um einen gigantischen Haufen Schrott aus zusammengeknüllten Raumstationen und -schiffen. Der Haufen wird zusammengehalten von Gravitationsfeldern und wird von einem Imperialen Kreuzer durchs All gezogen. Aphra versucht aus diesem Gefängnis zu entkommen. Dabei wird sie abgelenkt von einem mächtigen Artefakt, das sie unbedingt haben will: einem ur-alten Jedi-Lichtschwert. Außerdem ringt sie mit persönlichen Konflikten: ihrer Kindheit, ihrer aktuellen Liebschaft, ihrer Ex-Liebschaft, den Rebellen, dem Imperium, einem Kopfgeldjäger, außerdem mit einem sehr abgedrehten Wesen („ein machtsensitiver Hakensporen-Schwarm“) und dem Droiden-Duo Triple Zero und BT-1. Das sind überaus böse und sadistische Varianten von C3-PO und R2D2.
Die Geschichte
Die Story empfand ich im Großen und Ganzen als stark. Sie ist flott erzählt mit einer klaren Ausgangslage und einer großen Dynamik. Es gibt immer wieder Überraschungen und Wendungen und am Ende laufen alle Fäden zu einem fulminanten Finale zusammen. Wenn ich nörgeln wollte, würde ich sagen: Die Geschichte fügt einzelnen Charakteren des Star Wars-Universums zwar kleine Bausteine zu, sie tut fürs große Ganze aber nicht viel. Aber kann man das einem vierten Teil einer Comic-Reihe wirklich vorwerfen? Zumal ich einzelne Momente der Geschichte durchaus als episch erlebt habe. Zum Beispiel stößt Aphra offenbar auf den Geist eines uralten Jedi. Außerdem hat unter anderem Darth Vader große Auftritte, genau wie Triple Zero.
Die Highlights
Aphra, Aphra, Aphra! Ich habe von dieser Figur und diesem Comic nicht viel erwartet. Im Laufe der Geschichte habe ich aber immer wieder gegrinst, gestaunt und mich gefreut. Die Hauptfigur ist voller innerer und äußerer Konflikte. Sie hat ein klares Motiv. Sie ist kompetent. Sie ist genial. Aber sie macht doch immer wieder unvernünftige, schräge Dinge, wodurch sie sich immer wieder selbst in Turbulenzen stürzt. Als Leser kann ich da richtig mitfühlen. Spannend fand ich: In dieser Geschichte scheint sie zwischenzeitlich aus ihrem inneren Gefängnis auszubrechen.
Und richtig begeistert bin ich nach wie vor von Folgendem: Aphra ist lesbisch. Wir erleben sie in diesem Band mit ihrer Ex-Freundin und ihrer aktuellen Freundin. Und niemand in dieser Geschichte hinterfragt diese Homosexualität. Sie ist völlig normal. Dass ein populäres Produkt wie Star Wars eine solche Normalität vorlebt, finde ich großartig.
Gefreut habe ich mich auch über die vielen Anknüpfungspunkte an die globale Star Wars-Geschichte. Wir erleben bekannte Figuren wie Darth Vader und Hera Syndulla. Wir erleben eher unterbelichtete Figuren wie den rechtschaffenen Kopfgeldjäger Tam Posla und den sadistischen Doktor Evazan. Zwischendurch überrascht die Geschichte mit fundamentalen Star Wars-Lehren: „Nur eine Seele mit rechtschaffenem Kern darf eins mit der lebendigen Macht werden.“ Ist das etwa eine Erklärung, warum nur „die Guten“ als Machtgeister erscheinen?
Die Illustrationen
Als jemand, der wirklich nur Star Wars-Comics liest und sonst keine Comics, finde ich das zeichnerische Handwerk dieses Bandes ziemlich beeindruckend. Die Autoren setzen Bild-Konzepte gezielt ein, um Spannung zu erzeugen und für Überraschungen zu sorgen. Zum Beispiel sehe ich am Anfang Aphra in grauen, schrottigen Gängen. Ich bin neugierig und frage mich, wo sie ist. Nach dem Umblättern sehe ich die überraschende Auflösung: eine Totale des Schrotthaufen-Gefängnisses. An anderer Stelle sehe ich einen Close-Up vom Kopfgeldjäger Tam Posla, der eine Waffe auf Aphra richtet. Hinter Poslas Kopf taucht das rote Auge von Triple Zero auf. Super!
Vom Zeichenstil war Aphra IV für mich gewöhnungsbedürftig. Bisher kannten wir den Hauptcharakter als relativ realitätsnah dargestellt. In diesem Band ist Aphra deutlich anders gezeichnet. Für mich wirkt dieser Stil näher an Manga-Zeichnungen mit Stupsnase und weniger Gesichtslinien. Warum die Zeichner sich für diesen Stilbruch entschieden haben, kann ich nicht erklären. Laut Verlag stammen die Zeichnungen im Wesentlichen wieder von Kev Walker, der auch hinter den meisten anderen Aphra-Bänden steckt. Für mich war das erst irritierend, am Ende hat es aber nicht geschadet. Die Emotionen kamen gut rüber.
Die Übersetzung
Die deutsche Übersetzung ließ sich für mich gut lesen. Auffällig fand ich aber, dass Aphra im Deutschen vergleichsweise rotznäsig und sprachlich etwas aus der Welt gefallen rüberkommt. Wenn sie im Englischen sagt „…that sounds silly.“ machen die Übersetzer daraus „…das klingt bescheuert.“ Das mag Aphra für manche eine frische Note geben, für mich passt es nicht ins Universum. Warum nicht „…das klingt albern“?
Bewertung
Ich bewerte Doktor Aphra IV mit fünf von fünf Holocrons. Trotz kleinerer Kritik hat mir die Geschichte einfach zu viel Spaß gemacht. Ich hatte überlegt, ob ich nur vier Holocrons gebe, weil ich Aphra zwar hoch einschätze, aber nicht so hoch wie die Vader-Reihe von Charles Soule. Aber das wäre Aphra gegenüber unfair. Ich würde dafür lieber Vader zehn von fünf Holocrons geben!
Wir danken Panini für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares!