Rezension: Lost Stars von Claudia Gray

Lost Stars (04.09.2015)
Lost Stars (04.09.2015)

Lost Stars ist ein einmaliges Experiment im Star Wars-Universum. Im Deutschen zusammen mit den Han/Luke/Leia-Büchern als Jugendroman bezeichnet, ist es im englischen Sprachgebrauch allerdings kein „junior novel“, sondern fällt in die Kategorie „Young Adult“, also Fiktion für junge Erwachsene. Altersgruppenmäßig bedeutet das, dass es nicht für 8- bis 12-jährige Leser geschrieben wurde, sondern für 14- bis 18-jährige. Das ist ein eigenes Genre, das sprachlich (fast?) auf einer Stufe mit den Erwachsenenromanen ist (zumindest fiel mir nichts Gegenteiliges auf), aber inhaltliche Besonderheiten hat, nämlich den Fokus auf Themen, die Jugendliche in ihrer Lebenswelt interessieren. Diese Themen sind z.B. Beziehungen, Zukunftängste, die Frage nach der eigenen Identität und die Frage, was man aus seinem Leben macht, weswegen es in diesem Bereich viel postapokalyptische Fiktion gibt, aber auch Vampire und dergleichen. Claudia Gray hat auch schon Werke in beiden Subgenres verfasst. Jetzt fragt ihr euch bestimmt, wie das ins Star Wars-Universum passt, und ich hoffe, euch in dieser Rezension eine Antwort liefern zu können.

Lost Stars, das im November unter dem Titel Verlorene Welten bei Panini erscheinen wird (als Klappenbroschur, wie zuletzt die Erwachsenenromane zu The Old Republic oder die Coruscant Nights-Trilogie), gibt uns einen „Makroblick“ auf die Geschichte von Star Wars (von 11 Jahren vor der Schlacht von Yavin bis 5 Jahre danach, also bis 1 Jahr nach Endor) und folgt dabei einem Liebespaar vom Randplaneten Jelucan, dessen Biographie eng mit dem Schicksal der Galaxis verwoben ist. Ciena Ree und ihr Freund Thane Kyrell wachsen gemeinsam auf Jelucan auf, verbunden vom gemeinsamen Traum vom Fliegen. Ciena gehört der „Unterschicht“ des Planeten an, während Thane der Aristokratie entstammt. Ja, hier ist definitiv – und auch voll beabsichtigt – eine Romeo/Julia-Dynamik vorhanden: Die Liebenden zweier verfeindeter Gruppierungen, die Hindernisse überwinden müssen, um zusammen zu kommen, inmitten einer von Stolz und Ehre geprägten, starren Gesellschaft. Beide entfliehen den sozialen Vorurteilen ihrer Heimatwelt, um die Imperiale Akademie zu besuchen, und treten in den imperialen Dienst ein. Doch nach einer großen imperialen Grausamkeit (Alderaan) trennen sich ihre Wege, denn Thane desertiert – in seinen moralischen Grundfesten erschüttert – zur Rebellion. Und da ist schon wieder der Romeo/Julia-Konflikt.

Was haben diese beiden also mit der Geschichte von Star Wars zu tun? Ich jedenfalls kannte vor diesem Buch keinen von beiden – sie sind ja auch neue Figuren. Das ist auf eine Weise gelöst worden, die manchmal genial wirkt, manchmal aber auch – seien wir ehrlich – zu erzwungen. Nach ihrer Zeit an der Akademie (beide Protagonisten sind übrigens so alt wie Luke, Leia und Ezra) geht es in großen Schritten auf der klassische Trilogie zu, doch auch schon während der Akademiezeit hat Thane eine kurze Begegnung mit Prinzessin Leia von Alderaan. In der klassischen Trilogie sind die Figuren dann in allen Schlachten als Schiffspersonal oder Piloten vertreten. Von Tatooine über den ersten Todesstern und Yavin bis hin zu Hoth, Bespin und letztlich Endor – immer sind sie dabei. Thane als Teil der Rebellenflotte von Leia, Luke, Wedge und Han; Ciena als Unteroffizierin an Bord von Lord Darth Vaders Flaggschiff. Und in den meisten Fällen begegnen sie auch einander oder merken irgendwie, dass der andere beteiligt ist. Wie gesagt, die Zufälle häufen sich, und die „suspension of disbelief“ leidet manchmal. Sogar den Figuren selbst fällt das auf, aber sie schieben es in einem Anflug kultureller Rückbesinnung auf ihre Heimatwelt auf die alte Religion der Macht, die die Geschicke der Galaxis lenkt. Immerhin wird aber das dramatische Potenzial dieser Verknüpfungen ausgelotet. Ich denke, für viele Leser wird die Qualität des Romans damit stehen und fallen, ob sie diese Zufälle hinnehmen können oder nicht. Für den weiteren Rezensionsverlauf nehme ich sie aber mal hin, denn es gibt noch mehr über das Buch zu sagen.

Verlorene Welten (16.11.2015)
Verlorene Welten (16.11.2015)

Diese Flut aus Verknüpfungen und einem einmaligen Mix aus Themen wie Sex, Pornos, Gewalt und Diktatur hat durchaus einiges zu bieten. Das Buch erkundet die Auswirkungen der Zerstörung des Todessterns in der imperialen Flotte auf persönlicher Ebene (z.B. verlorene Freunde an Bord der Station) und einige Entwicklungen in Marvels Darth Vader sind dank Lost Stars auch etwas nachvollziehbarer. Durch die duale Perspektive zwischen Imperium und Rebellion bzw. später Neuer Republik sieht man nicht nur die Imperialen an Bord des Todessterns als Massenmörder. Nein, auch unser naiver Bauernjunge Luke Skywalker mutiert prompt – und auf glaubwürdige Weise – zum größten Schlächter der Rebellion. Was ein Schuss durch eine Lüftungschachtöffnung alles vermag… Das Buch erinnerte mich besonders während des ersten Drittels, das sich mit viel Exposition und der Ausbildung an der Akademie beschäftigt, aber auch später, als Ciena und Thane sich mit den Kriegsverbrechen des Imperiums konfrontiert sehen bzw. sie auch teils selbst begehen, an die Diener des Imperiums-Reihe von Jason Fry. Denn was Zare und Merei auf sehr persönlicher Ebene erleben, das sehen wir hier in galaktischem Maßstab, ohne das die Grausamkeit dabei irgendwie weniger persönlich wirkt – das ist der guten Verbindung der Gefühlswelt der Figuren mit dem galaxispolitischen Geschehen zu verdanken. Es ist eine etwas erwachsenere Version von Diener des Imperiums, ohne die Diener-Reihe hier herabsetzen zu wollen.

Wie erwähnt hat das erste Drittel dieses stolze 560 Seiten umfassenden Wälzers noch sehr viel Exposition. Ein bisschen kam man sich vor wie in Harry Potter und der Stein der Weisen, als Harry erstmals die magische Welt betritt und nach Hogwarts kommt, wo er ganz neue Dinge kennenlernt. Besonders toll fand ich Thanes erste Reaktion auf die Stadtwelt Coruscant. Dieses Gefühl der Ohnmacht inmitten all der Erhabenheit hat Claudia Gray wunderbar eingefangen. Die Exposition (mit Cameo-Auftritten von Leuten wie Tarkin, der etwas „out-of-character“ wirkt, will heißen, zu freundlich) geht stellenweise etwas zu großschrittig voran, andererseits kann man es aber dann doch nicht erwarten, zu den „relevanten“ Teilen des Buches zu kommen. Doch nach Ende der Ausbildung wird es richtig spannend – besonders, wenn man bereits mit den bisherigen Kanonwerken vertraut ist, aber auch wenn man nur die Filme kennt. Lost Stars liefert nötiges Bindegewebe zwischen den Szenen der Filme, den Filmen untereinander und auch zwischen den Filmen und den Marvel-Comics (Wie kam Darth Vader am Ende von Eine neue Hoffnung von Yavin weg?), Erklärungen für Dinge, die in den Filmen nicht eindeutig wurden und auch Ereignisse im Schatten der Filme, abseits der Hauptereignisse. Das waren die Stellen, an denen ich mir wünschte, das Buch würde nie enden.

Lost Stars liefert teils bis auf den Monat genaue Zeitangaben für die Ereignisse im Buch (der Kanon verdichtet sich!) und man fiebert bei den großen Wendepunkten bisweilen mehr mit als bei den Filmen, da die Schicksale der Protagonisten hier offen sind – besonders bei der Schlacht von Endor und erst recht bei der Schlacht von Jakku, die ja auf dem Cover bereits angedeutet wird. Das Imperium wirkt bedrohlicher denn je und im Schatten davon müssen Ciena und Thane sich ernsthafte Gedanken machen, wer sie sind und wofür sie stehen und welche Ideale ihnen wichtiger sind – ihre persönlichen Vorstellungen von Richtig und Falsch oder ihr kulturell bedingter Ehrenkodex und die Treue zu geleisteten Schwüren. Und wie weit kann man überhaupt blind sein für Grausamkeiten (auf beiden Seiten des Krieges), ohne der Verblendung komplett zu erliegen? Die Charaktere erleben hier echte, nachvollziehbare Tiefpunkte, die den galaktischen Ereignissen die Waage halten und sie persönlicher machen.

Der letzte Akt des Buches – gut 80 Seiten, schätze ich – geht über Endor hinaus. Im Zeitraffer bekommen wir mit, was danach geschieht, aber ein klares Bild entsteht leider noch nicht – ich denke aber, dass manche der Dinge, auf die hier angespielt wurde, und manche der Lücken durch Shattered Empire und Aftermath noch gefüllt werden. Eine Anspielung auf das Uprising-Spiel, das die Ereignisse im Anoat-Sektor nach dem Tod des Imperators schildert, ist mir ebenfalls aufgefallen. Das ist der Nachteil dieses Bindegewebe-Makroblick-Buches – für die Details muss man bisweilen doch die anderen Werke kennen und auch ein gutes Gesamtverständnis der Saga haben. Das dürfte aber einen jahrelangen Fan der Saga erfreuen, da er hier mal eine Herausforderung hat und nicht immer alles explizit serviert bekommt. Und so wird natürlich auch Interesse an den anderen „Journey“-Büchern generiert.

Der Sternenzerstörer auf Jakku
Der Sternenzerstörer auf Jakku

Das Buch erreicht in der Schlacht von Jakku seinen emotionalen und dramaturgischen Höhepunkt. Es erklärt, wie der Sternenzerstörer im nachfolgenden Bild dorthin gekommen ist, lässt aber auch bei den Ereignissen von Jakku genug Lücken, dass Battlefront noch einiges zu zeigen haben wird. Lost Stars konzentriert sich auf das Schicksal seiner Figuren und das entscheidet sich an Bord des Sternenzerstörers. Ob das Buch auch wie Romeo und Julia endet? Findet es selbst heraus.

Die generelle Bewertung fällt mir nicht ganz leicht. Der Schreibstil des Buches war sehr angenehm (bis auf die wiederholte Verwendung von „one of the only“, was mich fast wahnsinnig gemacht hat und euch hoffentlich in der deutschen Übersetzung erspart bleibt), doch die Zeitsprünge konnten bisweilen den Durchblick beim Leser trüben und dann ist da eben die Sache mit den ganzen Zufällen. Und man muss auch damit klar kommen, dass dieses Buch eine tragische, galaktische Liebesgeschichte ist, die zwar anders erzählt ist als die Anakin/Padmé-Geschichte der Prequels, aber dennoch – genau wie die Prequels – auf dramatische Elemente aus der Tradition von Shakespeare zurückgreift. Ich schwankte zwischen 3 und 4 von 5 Holocrons, habe mich aber für die 4 entschieden, da mir das Buch für 3 einfach zu viel Spaß gemacht hat und ich sowieso ein Befürworter von (sinnvollen) narrativen Experimenten in der Saga bin. Ich kann einfach nur sagen: Lest es und sagt mir in den Kommentaren eure Meinung. Ich bin definitiv gespannt, was ihr darüber denkt.

Die deutsche Ausgabe ist hier¹ vorbestellbar und erscheint voraussichtlich am 16. November 2015.

4 Kommentare

  1. Ein wunderbares Buch! Ich habe es komplett verschlungen und war begeistert. Tolle Charaktere, mit denen man mitfiebern kann, super Erzählstil, liest sich seht angenehm.

    Ich fand es toll, dass wir einmal die Perspektive der ganz normalen Offiziere / Piloten, etc. auf beiden Seiten des Bürgerkriegs zu sehen bekommen. Ich hatte beim Lesen des Buches ein ähnliches Gefühl wie bei den „Shakespeare’s Star Wars“-Büchern, nämlich öfter mal einen Aha-Effekt, wenn mich das Buch Szenen aus dem Film auf einmal in einem völlig neuen Licht sehen ließ. (Z.B. hatte ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie sich wohl Otto Normalsoldat an Bord des Todessterns gefühlt hat, als er die Zerstörung Alderaans mitbekommen hat.)

    Hier hat sich die Autorin richtig Gedanken gemacht, (was man von dem Autor von „Aftermath“ nicht behaupten kann). Die Heimatwelt der beiden Protagonisten wurde liebevoll mit vielen Details über Kultur und Geschichte beschrieben. Und viele wiederkehrende Motive und Vorausdeutungen runden das Buch ab. Dass sich die beiden Protagonisten (zu) oft durch „das Schicksal“ / den Willen der Macht treffen, hat mich nicht gestört. Wenn man SW-Fan ist, muss man doch akzeptieren, dass die Macht in-universe einfach Realität ist und eben solche Dinge lenken kann.

    Echt schade, dass so ein Buch durch das Label „Jugendroman“ wohl wenige erwachsene Leser finden wird! Viele werden sich „Aftermath“ kaufen und enttäuscht sein und wissen gar nicht, dass sie nur einmal ins Jugendbuchregal hätten blicken müssen, um etwas viel Besseres zu finden.

  2. Mich hat das Buch rundum absolut positiv überrascht. Es war verdammt spannend und die Charaktere wirkten auf mich sehr glaubwürdig und nachvollziehbar.
    Ich fand es auch schön zu beobachten, wie unterschiedlich die Personen auf beiden Seiten mit den jeweiligen Ereignissen umging und wie sich die Charaktere im Laufe der Geschichte entwickelten.

    Das Finale am Ende über Jakku hat mich sogar so in den Bann gezogen, dass ich bis nachts um halb fünf weiter lesen musste, ich hätte sonst beim besten Willen keinen Schlaf gefunden.

    Ein Stück weit empfand ich die Geschichte als perfektes Beispiel dafür, wie perfide Propaganda und Indoktrination manchmal wirken können und es dem Einzelnen einfacher machen, mit den Gräultaten der eigenen Gesellschaft zu leben oder sie sogar gutzuheißen.

    Ich kann ganz gut über diese ‚unglaublichen‘ Zufälle hinwegsehen, auch wenn es manchmal schon sehr auffällig war, aber ich denke, dass es manchmal einfach nötig ist, der Dramaturgie wegen etwas zu opfern.

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