Mit dem Young-Adult-Roman The High Republic: Path of Deceit starten die Autor*innen Justina Ireland und Tessa Gratton bei Disney-Lucasfilm Press die zweite Phase des Literaturprojekts Star Wars: Die Hohe Republik. Getreu der Veröffentlichungsweise der Filmtrilogien handelt es sich bei Phase II, betitelt Quest of the Jedi, um ein Prequel zu Phase I, das 150 Jahre vor Das Licht der Jedi spielt. Ob dieser Sprung in die Vergangenheit ein bloßes Gimmick ist oder sich in der Erzählung rechtfertigt, und was ich sonst so über dieses Buch denke, erfahrt ihr in meiner spoilerfreien Rezension.
Darum geht es: Der impulsive, charmante Jedi-Padawan Kevmo Zink und seine Meisterin Zallah Macri sind am Äußeren Rand stationiert und helfen den dortigen Planeten, als sie der Ruf ereilt, einem Macht-Artefakt nachzuspüren, das der Königsfamilie von Hynestia gestohlen wurde. Die Spur führt schnell nach Dalna, und ebenso schnell begegnet Kevmo dort der anmutigen Evereni Marda Ro, die im Auftrag ihres Kultes, dem „Path of the Open Hand“, auf dem Marktplatz missioniert. Es ist Liebe auf den ersten Blick, doch nicht nur Kevmos Jedi-Ausbildung steht dem Glück im Weg, denn Mardas Kult verabscheut die Jedi, deren Machtgebrauch sie als ein Verbrechen gegen die Natur betrachten. Und im Hintergrund lauert die Mutter, die betörende Anführerin der Offenen Hand, und schmiedet zerstörerische Pläne…
Die Ära der Hohen Republik überzeugte bisher vor allem mit ihren gut geschriebenen, sympathischen Hauptfiguren, insbesondere den Jedi, und es schmerzte mich schon ein bisschen bei der Ankündigung von Phase II, die lieb gewonnenen Helden zugunsten eines Prequels für knapp zwei Jahre links liegen lassen zu müssen. Ich war also freudig überrascht, dass ich bereits nach wenigen Seiten in Path of Deceit alle Wehmut aus dem Fenster geworfen hatte und voll an Bord war mit den neuen Charakteren. Justina Ireland und Tessa Gratton konzentrieren sich in diesem Buch auf sehr wenige Figuren – den Jedi-Padawan Kevmo Zink sowie die Kultmitglieder und Cousinen Marda Ro und Yana Ro – und das ermöglicht ihnen, diese wirklich gut auszuarbeiten. Auch Nebenfiguren wie der gewaltbereite Kultist Treze, Yanas Freundin Kor, Kevmos Meisterin Zallah oder die Kultführung in Form der „Mutter“ und des „Herolds“ sind plastische, spannende Charaktere. Lediglich mit der vierten (und eher nebensächlichen) Point-of-view-Figur, dem Schmuggler und Hyperraumforscher Sunshine Dobbs, wurde ich weniger warm, auch wenn seine Kapitel wichtige Erkenntnisse zu den Kernmysterien der zweiten Phase bzw. auch des gesamten Projekts zulassen. Da er aber auch eher zur Handlanger-Riege der Antagonisten zählt, ist es wohl auch verständlich, dass ich ihm nicht viel Sympathie entgegen bringe.
Neben dem super-sympathischen Kevmo muss ich aber definitiv Marda Ro als die gelungenste Figur in diesem Roman hervorheben, die – gemeinsam mit ihrer eher zynischen, gewaltbereiten Cousine Yana – Kenner der ersten Phase aufgrund ihres Nachnamens und ihrer Spezies natürlich hellhörig werden lässt. Marda ist eine Idealistin und eine wahre Gläubige im „Path of the Open Hand“, die fest überzeugt davon ist, dass die Jedi durch den Gebrauch der Macht eine Ketzerei begehen, die negative Auswirkungen auf die Galaxis hat. Sie strebt danach, in ihrem Kult aufzusteigen und eines Tages Dalna zu verlassen, um die Botschaft des Pfads in der Galaxis zu verbreiten. Sie ist sicher in mancher Hinsicht naiv, fordert die Ansichten der Jedi in Diskussionen mit Kevmo aber eloquent und treffend heraus und eröffnet uns als Leser*innen somit einen neuen Blick auf die Philosophie der Macht. Zugleich wissen wir, dass die Nachfahren der Familie Ro – Shalla, Asgar und Marchion – eines Tages die Nihil anführen und die Galaxis terrorisieren werden. Der beunruhigende Gedanke, die friedfertige, liebenswerte Marda könne eines Tages zu so einem Monster werden, hielt mich beim Lesen stets auf Trab, und die beiden Autor*innen spielen auch damit.
Ähnlich wie bei Mission to Disaster von Justina Ireland aus der dritten Welle der ersten Phase ist die Handlung räumlich weitgehend auf einen Planeten begrenzt: Dalna. Wir wissen bereits, dass dort einst schreckliche Dinge passiert sind, die dazu führten, dass die Einheimischen den Jedi misstrauten, und das hat natürlich eine gewisse Erwartungshaltung an Path of Deceit (sowie dessen Nachfolger, Path of Vengeance von Cavan Scott) geschaffen. Das Buch ist in der Tat sehr eng mit Phase I verzahnt und wer diese aufmerksam gelesen hat, findet sich schnell in einem sehr spannenden Prequel wieder, das dahingehend alles richtig macht. Fragen aus der „Zukunft“ werden teils beantwortet, teils werden – z.B. in der Form von Yana und Marda – mögliche Antworten präsentiert, und die Spannung ergibt sich zunächst daraus, dass man als Leser die Puzzlestücke zu einem großen Ganzen verbinden möchte. Ich sage aber betont „zunächst“, denn ehe man sich versieht, liest man das Buch nicht mehr, um beispielsweise die Vorgeschichte von Marchions Familie zu erfahren, sondern weil man mit Kevmo, Marda und Yana mitfiebert. Das begrenzte Figurenraster gereicht dem Buch zum Vorteil, denn es erschafft eine intime Atmosphäre, in deren Spannungsfeldern die Autor*innen ihr ganzes Können zu zeigen vermögen.
Loben möchte ich auch das vortreffliche Worldbuilding. Es ist kein Leichtes, eine neue Ära zu erschaffen, und ich bin begeistert, dass dies den Verantwortlichen hinter Star Wars: Die Hohe Republik nun quasi zweimal gelungen ist, denn 150 Jahre vor Das Licht der Jedi ist einiges nochmal anders als zur Zeit der Eröffnung der Starlight-Station, und man erkennt auch bereits die Fäden, die beide Zeitebenen verbinden. Zugleich wurde mit dem „Path of the Open Hand“ ein wirklich spannender philosophischer Widersacher für die Jedi jener Zeit ins Leben gerufen, und gerade die vielen Anspielungen auf Jedha lassen mich freudig den weiteren Büchern und Comics entgegen blicken. Gerade die Idee der „gifts freely given“ aus dem Glaubenssystem des Pfads bietet viele interessante Ansatzpunkte, die von Ireland und Gratton auch gewinnbringend genutzt werden. Überdies ergeben viele Bemerkungen seitens der Figur Kufa Ro aus The Rising Storm, die sie damals im Gespräch mit Marchion gemacht hat, nun bereits für mich Sinn, und es macht Spaß, beim Lesen diese Verbindungen zwischen den Phasen herzustellen. Zugleich werden neue Andeutungen auf Ereignisse gestreut, die wiederum weiter in der Vergangenheit liegen, sodass man das Gefühl bekommt, Star Wars baut langsam von den Prequel-Filmen ausgehend auch die Jahrhunderte vor der Skywalker-Saga aus.
Als Fazit lässt sich sagen, dass Path of Deceit mich regelrecht begeistert hat. Es handelt sich um ein intimes, charakterfokussiertes Buch mit nur wenigen Actionsequenzen, aber sehr viel Introspektion und Philosophie, dessen Hauptfiguren man schnell lieben lernt und um deren Schicksal man auch direkt bangt. Die zentrale Romanze wirkt keineswegs erzwungen, sondern man fiebert mit Kevmo und Marda trotz aller Widrigkeiten mit, und den Autor*innen gelingt es auch wunderbar, die zentralen Mysterien des Buches im Hintergrund aufzubauen, bevor diese Spannungen sich dann in einem emotionalen Finale entladen. Path of Deceit ist ein vielversprechender Auftakt für die zweite Phase von Star Wars: The High Republic und fühlt sich wie eine wesentliche Lektüre für das Verständnis des gesamten Projekts an.