Am 30. Mai 2023 erschien beim Panini-Verlag der chronologisch erste Roman aus der zweiten Phase der Hohen Republik. In Deutschland erschien mit Die Suche nach der verborgenen Stadt von George Mann der später spielende Jugendroman tatsächlich zuerst. Diese zweite Phase spielt 150 Jahre vor der ersten und hat sich zum Ziel gesetzt, einige Mysterien, denen wir in der ersten Phase begegnet sind, zu lüften. Nachdem Der Pfad der Täuschung unter dem Titel Path of Deceit bereits am 4. Oktober 2022 auf Englisch erschienen ist, darf ich euch heute meine Meinung zur deutschen Übersetzung des Panini-Verlags kundtun! Erstmals wurde ein Roman der Hohen Republik übrigens im Tandem geschrieben, und zwar von Justian Ireland – die bereits in der ersten Phase festes Mitglied des Projektes war – und von Tessa Gratton, welche nun in der zweiten Phase als eine der vier neuen Autor*innen dazustößt.
Fokussierter Charakterroman
Worum geht es in Der Pfad der Täuschung? Am einfachsten lässt sich die Handlung als Kultthriller zusammenfassen, auch wenn der Roman keineswegs durchgehend so düster ist, wie man es nach der Beschreibung erwarten könnte. Der Pfad der Offenen Hand hat sich seit vielen Jahren auf Dalna niedergelassen und lehrt dort die Grundlagen der Freiheit der Macht. Niemand soll sie besitzen, nutzen oder anderweitig korrumpieren und da liegt die Vermutung nahe, dass Jedi nicht sehr hoch im Ansehen stehen.
Auf Seiten der Jedi erhalten wir zwei neue Charaktere, von denen einer auch als Point-of-View-Charakter fungiert. Jedi-Meisterin Zallah Macri und ihr Schüler Kevmo Zink sind auf der Suche nach einem gestohlenen Artefakt und haben den als friedliebend bekannten Kult auf Dalna als möglichen Verantwortlichen identifiziert. Dieser Kult wird von einer Frau namens Mutter angeführt, die Machtvisionen hat und die Wege ihrer Brüder und Schwestern dadurch lenkt. Kevmo Zink ist dabei von Beginn an ein sympathischer Padawan, der als aufgeschlossen und (manchmal zu) charmant dargestellt wurde. Ich habe mich direkt in die Figur verliebt und konnte gar nicht genug Kapitel aus seiner Sicht erhalten.
Im Zentrum aufseiten des Kultes steht jedoch vor allem Marda Ro. Fans der ersten Phase werden bei dem Familiennamen natürlich hellhörig und fragen sich, wie sich die Wandlung der Familie hin zu Marchion Ro ergeben hat. Mardo Ro ist die Seele der Gemeinschaft und ich habe jede Szene genossen, die ich mir ihr lesen durfte. Ihre freundliche, aufgeschlossene und dadurch aber auch sehr naive Art laden dazu ein, mit ihr mitzufiebern und zu überlegen, wann sie wohl welche Erkenntnis haben wird. Generell ist die Idee, zu Beginn der zweiten Phase einfach mit einem komplett konträren Charakter zum bisher bekannten Anführer der Nihil aufzuschlagen, unglaublich kreativ und macht nur umso mehr gespannt, wie sich die Familiengeschichte hin zum mordenden Marodeur-Klan 150 Jahre später entwickeln wird.
Ansonsten ist der Roman aber nicht nur charaktermäßig sehr stark fokussiert, sondern auch örtlich. Bis auf wenige kleine Ausflüge spielt der Großteil des Romans auf Dalna, ein Planet, mit dem Autorin Justina Ireland unter anderem durch Mission ins Verderben ja bereits einige Erfahrung hat und dessen Vorgeschichte samt dem Hass auf die Jedi, von dem wir in Phase 1 mehrmals erfahren, ein Teil dessen ist, was ich mir von der zweiten Phase erwartet habe. Umso schöner, dass direkt der erste Roman dort loslegt. Insgesamt ist die Schilderung des Planeten aber nicht so umfassend wie im erwähnten Werk aus der ersten Phase und nur die Hauptstadt Ferdan und das Gebiet des Kultes werden näher beleuchtet und besucht.
Die Sache mit der Macht ist kompliziert
Genauso spannend wie die Figuren und die Einblicke in Dalna ist jedoch die Darstellung der verschiedenen Ansichten zur Macht. So sieht der Kult, wie bereits erwähnt, die Macht als frei an (offene Hand – was auch zu ihrer Geste wird) und lehnt damit alle Anwendungen dieser in Form von Artefakten oder Einsatz durch Jedi ab. Als Marda und Kevmo dann erstmals aufeinandertreffen, entlädt sich diese Sichtweise und beide müssen versuchen, den jeweils anderen zu verstehen. Genau hier brilliert der Roman, indem er über viele Kapitel hinweg genau diese verschiedenen Sichtweisen näher beleuchtet und beiden einen gewissen Wahrheitsanspruch zugesteht. So wird Mardas Position nicht als kategorisch blöd abgestempelt, genauso wie Kevmo nicht immer alles einwandfrei erklären kann und seine Meisterin hier und da benötigt, um ihm von Zweifeln wieder abzubringen.
Einzig die Kapitel in denen Marda alleine ist und über ihre Rolle im Kult nachdenkt, beziehungsweise ihren Blickwinkel auf die Macht immer wieder iteriert, um auf Kurs zu bleiben, wirken auf Dauer etwas redundant. Das ist aber nicht unbedingt eine Schwäche, sondern zeigt nur sehr schön, wie internalisiert dieses Denken ist und wie stark sie versucht, auf Kurs zu bleiben und Selbstzweifel abzuschmettern. Am Ende läuft es immer wieder auf ein Mantra hinaus und genau das ist das Perfide an einem solchen Kultsystem, in dem man von Klein auf indoktriniert wird. Auch in diesem Punkt ist es den Autor*innen also erschreckend gut gelungen, die tatsächliche Gefahr kultischen Denkens darzustellen – und zwar bis zum Schluss!
Viele Fragen, (noch) wenig Antworten
Ich habe die Rezension mit Paukenschlag betitelt und genau das ist der Roman für mich in jeder Form! Es werden sehr viele Weichen gestellt und zufriedenstellend auf der ersten Phase, beziehungsweise dem Wissen der Leser*innen über die erste Phase, aufgebaut. Trotzdem lässt es sich der Roman natürlich nicht nehmen, neue Fragen für diese zweite Phase aufzuwerfen und einiges offen zu lassen. Das ist aber keineswegs ein Kritikpunkt, sondern eine Stärke des Romans. Die beiden Autor*innen schaffen es, genügend Spannungsbogen für dieses Werk aufzubauen, während die Balliste für den Rest der Phase im Hintergrund schon aufgespannt wird und ihren Pfeil weit über die knapp 400 Seiten dieses Werks hinausschießt. Genau so muss und sollte sich untereinander verbundenes Storytelling anfühlen: Es macht Lust auf mehr, ist aber am Ende als Werk an sich auch schon zufriedenstellend. Auch wenn ich nun bereits um den weiteren Fortgang der Phase und die vergleichsweise enttäuschenden Erwachsenenromane weiß, so nimmt das diesem Werk sowie auch dem kommenden Nachfolger Der Pfad der Rache nicht die gute Arbeit mit Spannung und interessanten Charakteren, doch dazu verliere ich dann auch zu gegebener Zeit bei der Rezension des zweiten YA-Romans noch mehr Worte.
Überraschend bis zum Schluss
An dieser Stelle will ich natürlich nicht zu viel verraten, aber ich kann so viel sagen, dass ich bis zum Ende überrascht wurde, wie sich Wendungen in dem Roman ergeben und wie sich Loyalitäten und Entscheidungen entwickeln. Es ist keineswegs so, dass die Figuren nur für einen Teil des Romans eine Wandlung oder allgemeiner gesagt eine „Heldenreise“ durchlaufen, sondern bis zum Ende muss man aufmerksam und gespannt sein, wie sich die Handlung entwickeln wird. Für mich ein absoluter Pluspunkt und der Grund, wieso ich den Roman mit all dem Wissen am liebsten gleich nochmal lesen möchte.
Auch als Einstieg geeignet
Vor dem Fazit möchte ich gerne noch ein paar Worte dazu verlieren, ob man nun auch – da es sich ja um ein Prequel handelt – auch mit der zweiten Phase in die Hohe Republik starten kann. In meinen Augen ist der Roman als Ganzes spannend genug, damit das möglich ist. Schließlich haben viele – mich eingeschlossen – damals auch zuerst die Prequels gesehen, bevor sie die klassische Trilogie angeschaut haben. Doch genau wie beim Filmbeispiel gibt es eine zweite Ebene bei diesem Roman, die sich genau dann entlädt, wenn man all die Geschehnisse, Namen und Schiffe aus der ersten Phase (wiederer)kennt. Von daher ist es sicherlich für alle ein toller Lesegenuss, aber entfaltet das volle Potenzial, sobald das Wissen rund um die erste Phase vorhanden ist.
Fazit
Der Pfad der Täuschung überzeugt auf ganzer Linie, indem er offen mit Karten spielt, die in Phase eins noch verdeckt waren und trotzdem genug Fragen offenlässt, um gespannt und konfliktreich in die zweite Phase zu starten. Ich hätte mir keinen besseren Start in diese Phase wünschen können und auch wenn in meinen Augen Das Licht der Jedi das insgesamt bessere Werk ist, schafft es Der Pfad der Täuschung dennoch – in Anbetracht des Vorwissens aus Phase 1, aber auch abseits davon – einen würdigen Einstieg zu erzählen, der uns wie bisher um Figuren bangen lässt, zum Mitfiebern einlädt und neue Fanlieblinge heraufbeschwört. Also all das, was wir uns von einem Roman aus der Hohen Republik erhoffen können!
Wir danken Panini für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares.
Star Wars: Die Hohe Republik ist ein mehrjähriges Buch- und Comicprogramm, dessen zweite Phase 380 Jahre vor Episode IV spielt und einen neuen Einstiegspunkt bietet. Weitere Infos, News, Podcasts und Rezensionen gibt es in unserem Portal und in der Datenbank. Beachtet auch unsere Guides zur Lesereihenfolge von Phase I und Phase II.