In der vorletzten Ausgabe der Marvel-Miniserie Obi-Wan geht es noch einmal zurück in die Klonkriege, dieses Mal jedoch fernab der Front und in Begleitung von Anakin Skywalker. Wieso dieses Heft das bisher beste der Reihe ist, erfahrt ihr unterhalb der Spoiler-Warnung!
Achtung: Wie immer besprechen wir im Marvel-Mittwoch die Handlung des Comics, sodass sowohl der Beitrag als möglicherweise auch die Kommentare Spoiler enthalten werden.

Zum Inhalt
Der Sturm auf Tatooine hat nun endgültig die Hütte Obi-Wans erreicht und reißt mit sich, was er kann. Gewohnt metaphorisch beginnt Heft #4, „The Sun Sets and It Rises“ von Autor Christopher Cantwell, mit Zeichnungen von Madibek Musabekov und Koloration von Sebastian Cheng, indem ein Vaporator bricht, den Kenobi schon zahlreiche Male zusammengeflickt hat – ähnlich wie sich selbst. Und er selbst spürt auch sein Alter und die nahende Dunkelheit, was ihn an einen entscheidenden Moment in den Klonkriegen erinnert …

Zwar waren die bisherigen Hefte schon mit emotionalen und überraschenden Momenten bestückt, doch diese Ausgabe setzt den bisweilen unzusammenhängenden Ausschnitten die Krone auf. Im vierten Teil der Serie steht die Action im Hintergrund und lässt stattdessen die Protagonisten und deren Dynamik strahlen. Im Zentrum der Story steht neben Obi-Wan nämlich auch Anakin Skywalker, mit dem Kenobi gemeinsam den Krieg bestreitet. Besonders hat mir daran gefallen, wie Obi-Wan den Krieg reflektiert und klar wird, wie traumatisiert die Jedi eigentlich davon sind, in eine Rolle gesteckt worden zu sein, die ihnen niemals angehören sollte, und dass sie Leben nehmen müssen, um Leben zu bewahren. Diesen Konflikt merkt man Obi-Wan die ganze Ausgabe hindurch an, doch er wird besonders gut durch Anakin gespiegelt, dem Kenobi das Kämpfen und den Krieg lieber erspart hätte.
Umso schöner ist es also zu sehen, wie Anakin und Obi-Wan einander necken, wobei beide nicht an Sarkasmus sparen. Vor allem Obi-Wans Witz, dass Anakin wieder Podrennen fahren solle, hat mir ein Lachen entlocken können. Dennoch sind auch Anakins Frust und Obi-Wans Zweifel verständlich, dass sie die Front verlassen sollten. Interessanterweise knüpft diese Ausgabe an die vorherige an, denn Commander Mekedrix spielt erneut eine zentrale Rolle – und dieses Mal keine gute. Somit sind zum ersten Mal die Ausgaben so richtig verbunden (abgesehen von der Rahmenerzählung natürlich), was der Handlung direkt etwas mehr Fallhöhe verleiht. Der Twist, dass Mekedrix zu einem Terroristen geworden ist, hat mich emotional zwar wenig mitgenommen, da man in der letzten Ausgabe nur eine spärliche Bindung zu ihm aufbauen konnte, dennoch ist es ein interessanter Aspekt, dass Krieger durch die Kämpfe noch weiter radikalisiert werden, bis sie Gut und Böse nicht mehr unterscheiden können. Cantwell und Musabekov scheuen nicht davor, die schrecklichen Momente des Krieges aufzugreifen und darzustellen und diese mit der sonst eher ruhigen Handlung zu verbinden.
Nicht weniger interessant ist es, dass Anakin sich klar gegen den Auftragsmord an Mekedrix positioniert. Im Hinblick auf seine eigene Geschichte ist es umso tragischer, aber auch schöner, dass er einen abtrünnigen Krieger noch nicht als verloren ansieht. Das Heft stellt den (Un-)Sinn hinter den Klonkriegen in den Fokus, indem die zwei Helden sich im kleinen Rahmen mit Entscheidungen um Leben und Tod konfrontiert sehen – fernab vom Trubel wird ihnen dabei die Tragweite der eigenen Entscheidungen und Prinzipien bewusst. Teilweise übernehmen dabei auch Obi-Wans Tagebuch-Gedanken, während er nur wenige Worte mit Anakin wechselt. Auch die Flashbacks funktionieren in diesem Rahmen gut.







Atmosphärisch macht dieses Heft ebenfalls alles richtig und schafft es, die unbehagliche, gruselige Stimmung gut einzufangen, welche in Mekedrix Festung – ein alter Sith-Tempel, im Zuge dessen Obi-Wan auch den Jedi-Sith-Krieg thematisiert! – kulminiert. Dort treffen wir auf den einstigen Verbündeten, in dessen Aussagen teilweise überraschende Wahrheit steckt, der sich aber auch erschreckend stark radikalisiert hat und seinen eigenen terroristischen Standpunkt überhaupt nicht als diesen wahrnimmt.
Obi-Wan versucht, ihn mit einem Rätsel zu besinnen, dessen Lösung eines der wohl schönsten Zitate Obi-Wans bedeutet: „The sunrise needs three parts to exist. The light of a star. The sky of a world. And a life to observe it. Life gives the sunrise meaning.“ Das lasse ich hier einfach mal so stehen.
Jedoch verärgert Kenobis Versuch Mekedrix nur noch mehr, bis er zum entscheidenden Schlag ausholt und Anakin ihn aus Notwehr tötet. An dessen Überraschung und seiner direkt einsetzenden Schuld merkt man, dass wir es hier noch mit einem weniger vom Krieg gezeichneten Anakin zu tun haben, dessen Gefühle ihn nun aber vielleicht schon die Schritte Richtung Dunkelheit gehen lassen. In dieser Dunkelheit lässt der Comic die Helden auch zurück und spiegelt Anakins Trauer mit der des älteren Obi-Wan, der den Sturm noch immer nicht überstanden hat. Kein schönes Ende, und dennoch eines, dass auf seine eigene Art und Weise funktioniert und einen emotional trifft.
Zu den Zeichnungen
Die Zeichnungen dieser Ausgabe sind neben denen von Anindito aus Heft #1 meine bisher liebsten dieser Serie. Der Fokus liegt wie auch in der Handlung ganz klar auf den Protagonisten, daher ist es umso wichtiger, diese gut zu treffen, was Musabekov überaus gut gelungen ist. Während die Hintergründe eher schlicht gehalten sind, was für diese Ausgabe definitiv funktioniert, stimmen Gesichtszüge und -ausdrücke von Anakin und Obi-Wan durchgängig und auch kleine Charakteristika des Duos, wie ein verstohlener Blick zueinander in kritischen Situationen, wurden passend eingearbeitet. Hin und wieder wird auch mit der Perspektive gespielt und wir sehen Charaktere aus der Vogelperspektive, schauen ihnen aber auch mal über die Schulter, wodurch eine angenehme Dynamik entsteht. Die Seiten und Panels sind nicht überladen und zeigen nur das Wichtigste, dabei schaffen sie es, eine gruselige Stimmung im Sumpf aufkommen zu lassen und gleichzeitig Klarheit zu erzeugen.
Spannend ist auch das Spiel von Licht und Schatten, das in diesem Heft nicht nur zeichnerische, sondern auch metaphorische Bedeutung hat. Chapeau also auch an die Koloration von Sebastian Cheng! Trotz mangelndem Detailreichtum hat Ausgabe #4 somit insgesamt eine stimmige zeichnerische Gestaltung, dessen eigener Stil sich meiner Meinung nach positiv von den letzten zwei Heften abhebt und wieder mit jener des ersten Hefts mithalten kann.
Fazit
Unter den bisherigen vier Ausgaben ist „The Sun Sets and It Rises“ die thematisch und emotional packendste. Cantwell schreibt Kenobi und Skywalker charaktergetreu und mit der richtigen Mischung aus Humor, Ehrenwürdigkeit und tiefgehenden Gedanken. Die Themen Krieg und Radikalisierung werden auf wenigen Seiten umfassend aufgegriffen und vom kreativen Team hinter dem Comic hervorragend auf die visuelle Ebene übertragen. Definitiv das Highlight der Serie!
Wir bedanken uns bei Marvel für die Bereitstellung der digitalen Vorab-Exemplare, ohne die unser Marvel-Mittwoch nicht möglich wäre.
Mich hat das Setting recht stark an Apokalypse Now erinnert, was ich eine sehr interessante Idee finde. Hat mir an sich gut gefallen, die Auflösung war etwas zu einfach, aber wohl nicht anders zu machen.