Am 30. November erschien bei TASCHEN der Luxusband The Star Wars Archives, welcher sich auf 600 Seiten ausführlich mit der Entstehungsgeschichte der klassischen Trilogie beschäftigt, auf Englisch. Heute haben wir für euch ein exklusives Interview mit Paul Duncan, dem Autor dieses Werkes und Schöpfer von etwaigen anderen Iterationen der Archives-Reihe. Das Interview wurde von Alex Kane auf StarWars.com geführt. Duncan spricht über seine Arbeit am Buch, über Herausforderungen, Ideen und seine Zusammenarbeit mit George Lucas höchstpersönlich.
Ein Unboxing mit dem Autor, bei dem die schieren Dimensionen des Buches klar werden, gibt es bereits auf Youtube zu sehen.
Star Wars.com: Du hast bereits an unzähligen Büchern für TASCHEN gearbeitet, die vor allem die Herzen der Cineasten höher schlagen lassen. Was hat dich daran fasziniert, eines dieser Bücher nun über Star Wars anzufertigen?
Paul Duncan: Ich war damals am 29. Januar in Nuneaton, UK, der Erste in der Schlange für Star Wars, bei der allerersten Vorführung. Ich war ganze vier Tage früher dort und es war kalt, nass und windig. Ich sah die Promobilder für den Film in Amerika und dachte nur: „Das wird etwas ganz Großes. Es wird noch größer werden als Ben Hur, sogar größer als Vom Winde verweht. Ich musste einfach dabei sein. Und natürlich war ich der Einzige, der dort stand. Es war der erste Film, den ich ganz allein sah. Ich wartete bei Wind und Wetter, setzte mich hinein und boom – ich war mittendrin. Es hatte mich sofort gepackt. Und dann dachte ich: „Wie zur Hölle haben die das gemacht? Das ist einfach großartig.“
Als ich dann 15 Jahre alt war, etwa 1980, zeigte mir mein Doctor Who-begeisterter Freund einige Doctor Who-Fanmagazine der Serie und wir beide sagten fast gleichzeitig: „Warum machen wir nicht unser eigenes Magazin?“ Das war der Moment, in dem ich anfing, zu schreiben und eigene Fanmagazine zu gestalten. Das Allererste, an dem ich tatsächlich arbeitete, war sozusagen eine Vorschau: Eine Sammlung aller Infos, die ich zu Das Imperium schlägt zurück sammeln konnte. Das ist jetzt etwa… wie viele Jahre her? Viel zu viele.
StarWars.com: 38?
Paul Duncan: Jap. 38 Jahre später arbeite ich also an einer Fortsetzung in Form dieses riesigen, ja gigantischen Buches. Auf diesen Moment hatte ich lange gewartet, auch wenn ich es gar nicht wusste. Aber so fing alles an. Dieses Interesse, diese Begeisterung und mein Verlangen nach Wissen haben zu diesem Moment geführt. Das alles hat mein Leben geprägt.
StarWars.com: Das Besondere an diesem Buch ist ein Interview mit George Lucas. Wie war das genau?
Paul Duncan: Der Kernpunkt ist die mündliche Überlieferung. Was ich nunmehr über Jahre hinweg mit den Archives-Büchern gemacht habe, seien es Ingmar Bergman, James Bond, Pedro Almodóvar, Charlie Chaplin und natürlich Star Wars, war, dass ich immer interessiert an den Berichten der Beteiligten war. Es sind die Menschen, die tatsächlich dabei waren, die diese Werke geformt haben und demnach wissen, worüber sie reden. Was ich hier versuche ist, das Ganze in die Gegenwart zu transportieren, weil so viele Bücher nur mit der Vergangenheit beschäftigt sind. Ich wollte ein Buch gestalten, welches sich nach und nach entfaltete.
All die Menschen, die diese Filme schufen, wussten nie, ob ihre Visionen Früchte tragen werden, ob sie schlussendlich funktionieren oder ob sie Erfolg haben würden. Das war, was ich näherbringen wollte, dass man sich darauf zurückbesinnt. Wir schauen George Lucas über die Schulter ohne Fremdeinwirkungen, es sind nur die rein historischen Fakten, die hier eine Rolle spielen, keine Wertung seiner Entscheidungen oder Ähnliches.
Als ich anfing, an dem Buch zu arbeiten, hatte ich keine Ahnung, wie es mal aussehen sollte. Erst nach einem Jahr intensivster Nachforschungen, dem Prüfen etwaiger Schriftstücke, der ganzen Artworks und auch der Fotos, wusste ich endlich, was ich wollte: das Warum. Das Wer, Was und Wo sind alles Fragen, die durch diese umfangreichen Dokumente, Fotos und Artworks bereits beantwortet worden sind. Ich wollte mich aber mit dem Warum beschäftigen, und da gab es nur eine Person, die mir helfen konnte: George Lucas selbst.
Und das ist letztendlich der Zeitpunkt, an dem sich der Fokus des Buches auf George verschob. Ich wollte mehr über seine Erfahrungen beim Kreieren dieser Filme erfahren. Ich wollte wie ein kleiner Vogel auf seiner Schulter sitzen – wie ein kleiner Porg, und ihm dabei zusehen und zuhören, während er die Filme zum Leben erweckte. Das war mein Credo, das beim Sortieren der Bilder und Texte, die genau diese Geschichte unterstreichen sollten, wichtig war.
StarWars.com: Also sozusagen ein begleitender 600-Seiten-Kommentar des Regisseurs.
Paul Duncan: Ja, so ziemlich. Ich meine, ich hatte wirklich viel Glück, dass George dem Ganzen zustimmte, da ich sowohl bereits veröffentliche Interviews sowie ungesehenes, altes Material benutzte. Ich wollte außerdem auf keinen Fall Fragen stellen, die schon abermals von ihm beantwortet wurden. Es sollte sich ausführlich um ganz bestimmte Momente, Ideen und seine Herangehensweisen drehen, aber natürlich auch um seine Visionen und Hintergründe. Damals las ich Interviews aus der Zeit, als er noch American Graffiti promotete – Jahre vor Star Wars – und dort sagte er: „Ich arbeite an einem neuen Projekt namens The Star Wars, bei dem es sich um eine Mischung aus Lawrence von Arabien, 2001 und James Bond handeln wird.“
Da gab es aber noch einen anderen Aspekt, der hier mit reinspielt. George war nämlich sehr positiv überrascht darüber, mit American Graffiti besonders junge Menschen erreicht zu haben. Ein Grund für die Aufarbeitung von THX 1138 und American Graffiti in diesem Buch ist, dass ich auch Georges Entwicklung als Filmemacher und Denker zeigen wollte und wie diese Erfahrungen seine Herangehensweise an Star Wars beeinflusst haben. American Graffiti zum Beispiel hatte ihn aufgrund der positiven Reaktionen des Publikums sehr berührt. Sie verstanden diese ganze Autoszene, das Älterwerden und die damit verbundenen Herausforderungen, die junge Teenager verändern. Die Menschen fanden es einfach authentisch. THX 1138 auf der anderen Seite wurde zwar von Kritikern gelobt, spielte aber nur wenig Geld ein. Lucas fragte sich also, was die Ursache dafür sein könnte. Immerhin ist THX 1138 sozialkritisch und gleichzeitig sarkastisch; er hat schwarzen Humor und repräsentiert eine Idee des Geistes, ein intellektuelles Konzept. American Graffiti hingegen kam von Herzen und direkt aus seinem Leben. Er realisierte, dass die Idee, Leute auf einer persönlichen Ebene anzusprechen, etwas war, das er auch mit Star Wars erreichen wollte.
Es gab dann einen Scheidepunkt in der Entwicklung von Star Wars, als man ihn vor die Wahl stellte, entweder Apocalypse Now, den er mit John Milius entwickelte, oder eben Krieg der Sterne zu machen. Apocalypse Now war, jedenfalls seiner Vision nach, eher eine dunkle Komödie. Ein Indie-Film, der mit Found-Footage-Aufnahmen arbeitete und damit näher an M*A*S*H von Robert Altman oder auch Catch-22 war. So etwas in der Art. Star Wars hingegen sollte viel weniger düster werden, vor allem an 12-Jährige gerichtet; und insgesamt stärker mit dem verbunden, was ihn tatsächlich beschäftigte.
Als er dann aufs College ging, erfuhr er, dass man tatsächlich Anthropologie studieren konnte. George sammelte – zusätzlich zu den Regalen voller Comics in seinem Kinderzimmer – unzählige Exemplare von National Geographic, die er liebte und verschlang. Im College entdeckte er schließlich die Anthropologie und das Konzept, dass all diese verschiedenen Aspekte von Religion und Mythologie in einem Universalmythos ihren Ursprung fanden (man denke an Joseph Campbells Der Heros in tausend Gestalten oder Frazers Der goldene Zweig, mit dem er sich auch beschäftigte). Das Star Wars-Projekt entsprang dieser Faszination am Anthropologischen und dem Wunsch, jungen Menschen etwas näherbringen zu wollen; die Regeln des Lebens durch seinen eigenen Mythos in Form von Star Wars zu schaffen.
StarWars.com: Das Buch erforscht auch Lucas‘ Obsession mit dem dokumentarischen Filmemachen. An einer Stelle sagt er, er habe eher eine Vorliebe für das Schneiden. Er habe weniger Spaß am Drehbuchschreiben und Regieführen, aber das Aufbereiten liebe er wirklich. Liegen diese Bereiche nicht nah beieinander?
Paul Duncan: Ich glaube wirklich, dass er sich kleiner macht, als er ist. Dadurch, dass er seine Fähigkeiten oft runterspielt, glauben die Menschen es mit der Zeit auch. Aber das stimmt nicht. Tatsächlich ist er ein großer Autor, ein fantastischer Geschichtenkonzipient. Als ich die ganzen originalen Entwürfe und Screenplays durchging, war ich am meisten darüber überrascht, dass das meiste von ihm ist. Ich möchte auf keinen Fall die Beiträge der anderen schmälern, die am Film mitgearbeitet haben, aber ein Mammutanteil geht auf George zurück, was mich sehr überraschte. Es gibt darin echt tolle Ideen.
StarWars.com: Was mich anfangs wirklich verwunderte, war, wie stark du ins Detail gehst was seine Zeit an der Filmhochschule, seine Interessen und seine früheren Projekte mit anderen angeht. Du nimmst dir wirklich die Zeit, den Weg zu Star Wars zu ebnen und Leser in die thematische Umgebung zu führen. Das funktioniert sehr gut.
Paul Duncan: Das Ganze ist ein Prozess und ich versuche zu zeigen, dass seine Arbeit vor allem eines ist – er selbst. Ich möchte seine Einflüsse und Inspirationen aufzeigen, die für einen Aspekt Georges stehen. Aber wir alle bestehen aus mehr als einem Teil, wir sind mannigfaltige und komplexe Wesen. Und nur weil wir uns über diesen einen Aspekt zeigen oder definieren, heißt das nicht, dass es nicht mehr zu sehen gibt. Es gibt noch wesentlich mehr von George und er ist ein wirklich netter und cooler Typ.
StarWars.com. Du hast das Interview in Kalifornien also persönlich führen können?
Paul Duncan: Ja, absolut, ich war auf der Skywalker Ranch. Ich recherchierte im Presidio die Originalfotografien, die ich alle durchging, und später dann auf der Ranch die originalen Artworks und Produktionsdokumente. Auch die Clippings in der Lucas Research Library fanden Verwendung. Nach etwa einem Jahr nahm meine grobe Vorstellung des Buches Gestalt an: Es musste auf jeden Fall um George gehen, weshalb ich ihn dann um ein Interview bat. An drei separaten, nicht aufeinanderfolgenden Tagen traf ich ihn in seinem persönlichen Büro auf der Ranch – was wirklich großartig war.
Es kam aber vor allem wirklich zu Geltung, wie sehr George Star Wars liebte. Er redete mit mir sogar über Parsecs, wisst ihr? Und ich sagte: „George, wie denkt du dir all diese Sachen nur aus?“ Und er antwortete: „Nun, ich habe nichts Besseres zu tun.“ Ich war begeistert und hatte das Gefühl, nach dem Gespräch kaum an der Oberfläche gekratzt zu haben. Er ging einfach so sehr ins Detail über Aspekte im Hintergrund, die Geschichte, die verschiedenen Figuren und Fahrzeuge und Apparaturen. Und wir sehen davon lediglich einen kleinen Teil in den Filmen.
Ich denke, das ist auch einer der Aspekte, der seine Welten so überzeugend macht – dass er so viel Zeit mit diesen Charakteren und Welten verbrachte. Es erlaubte ihm, lange in ihnen zu leben und sie immer wieder zu vergrößern. Wenn man als Autor etwas schreibt, ist das Werk viel größer als das, was man als Zuschauer final zu sehen bekommt. Er erschuf in seinem Kopf diese unglaublich detaillierte und vielfältige Star Wars-Welt. Und George liebt sie. Er liebt Star Wars, er liebt seine Kreationen. Und das sollte er auch.
StarWars.com: Du hast einiges enthüllt, was wir in vorherigen Büchern nie zu sehen erwartet hätten. Du hast ganze Anhänge über das Holiday Special eingefügt, die Filme fürs Fernsehen wie Droids und auch die Ewok-Cartoons. Jetzt dürfen wir ja wieder einigermaßen darüber reden. War das eine Überraschung für dich?
Paul Duncan: Wenn ich ein Projekt angehe, frage ich mich immer, was ich gerne realisieren würde und worauf ich tatsächlich hoffen darf. Mit dem Holiday Special verstand ich natürlich die Geschichte dahinter. Was mich aber daran so interessierte, und danach fragte ich auch George, war, wie es überhaupt so zustande kommen konnte und warum George nicht mehr Kontrolle darüber hatte. Die Art, wie George darauf antworte, zeigte, dass er etwas Wichtiges gelernt hatte. Der Fakt, dass er keine Kontrolle übernahm, dass er es nicht in die potentiell richtige Richtung führte, war eine Lektion, die er lernen musste. Einfach für dieses Statement und um zu zeigen, wie es sich entwickelte und ihm völlig entglitt, war eine Inkludierung wichtig für das Buch.
Einfach weil es George beim Lernen zeigte. Man muss bedenken: Es ist eine Sache, Autor, Cinematograph oder Editor zu sein, aber eine andere, Regisseur zu werden, dann sogar Produzent. Die Fähigkeiten und die Verantwortung, die einem abverlangt werden, sind für jeden dieser Jobs unglaublich verschieden. Es lastete großer Druck auf Georges Schultern, Das Imperium schlägt zurück zu drehen, weshalb ich glaube, dass es ihm einfach zu viel auf einmal wurde. Das war quasi die Lektion des Holiday Specials. Bei den anderen Produktionen wie den Ewoks-Filmen sowie auch den animierten Cartoons Droids und Ewoks gab es viel Material. Ich war überrascht, wie viel es zur Produktionsgeschichte und den visuellen Materialien tatsächlich gab. Hier lag wirklich Bemerkenswertes verborgen.
Letztendlich bin ich sogar enttäuscht, dass ich nur so wenige Seiten zur Verfügung hatte…
Wer sich selbst oder anderen zu Weihnachten eine galaktische Freude machen will: The Star Wars Archives von TASCHEN kann auf Amazon.de oder direkt bei TASCHEN bestellt werden. Die deutsche Ausgabe erscheint im Februar und ist ebenfalls bei Amazon.de vorbestellbar. Eine Rezension von uns folgt, sobald unser Chefredakteur Florian das doch recht umfangreiche Werk verschlungen hat.
Interessantes Interview zu einem großartigen Buch.