Nachdem wir auf der Journey to The Last Jedi nun mit Die Legenden von Luke Skywalker, Leia:Prinzessin von Alderaan und Phasma schon einige zentrale Figuren aus Episode VIII vorgestellt bekommen haben, dürfen wir nun auch noch einen Ort aus dem neuen Film kennenlernen. Die Kurzgeschichtensammlung Canto Bight, welche beim Verlag Century als Hardcover und E-Book erschienen ist, besteht aus vier Kurzgeschichten unterschiedlicher Autoren, welche alle am selben Tag bzw. in derselben Nacht in der Casinostadt Canto Bight auf dem Planeten Cantonica spielen. Hauptakteure sind allesamt bisher unbekannte Aliens, die in der Stadt leben, arbeiten, als Touristen unterwegs sind oder in zwielichtige Geschäfte verwickelt sind. Mein Kollege Florian hat bereits eine Rezension zu Canto Bight verfasst.
Als der Band angekündigt wurde, war meine Vorfreude relativ gering. Ich bin kein großer Freund von Aliens und Kreaturen und Kurzgeschichten machen mir normalerweise viel weniger Spaß als Romane. Außerdem schien bei dem Konzept relativ wenig an relevanten Informationen über Die letzten Jedi enthalten zu sein, was meine Lesemotivation nicht gerade erhöhte. Mit dementsprechend geringen Erwartungen ging ich an das Buch heran.
Im Folgenden werde ich die vier Kurzgeschichten erst einzeln bewerten und dann meinen Gesamteindruck schildern.
Rules of the Game von Saladin Ahmed
In der ersten Geschichte begleiten wir den Vaporatoren-Verkäufer Kedpin Shoklop, welcher in seiner Firma den Titel „Salesbeing of the Year“ (deutsch: „Verkaufswesen des Jahres“) erlangt und eine Urlaubsreise nach Canto Bight gewonnen hat. Leider macht der gute Kedpin jedoch einen so naiv-touristischen Eindruck, dass er direkt bei seiner Ankunft am Raumhafen von dem Verbrecher Anglang Lehet ins Visier genommen wird, welcher ihn als lebende Bombe für einen Anschlag auf Canto Bights brutalen Polizeichef missbrauchen will. Dass gerade diese Geschichte am Anfang der Anthologie steht, halte ich für eine sehr gute Wahl, denn wir Leser sind ja, genau wie der Protagonist, neu in Canto Bight und da passt die Perspektive eines Touristen, welcher beeindruckt vom Prunk und Glanz der Stadt durch die Straßen geht, perfekt. Ich fühlte mich hier wirklich gut abgeholt und an der Hand genommen. Langsam konnte ich Stück für Stück die Wunder der Stadt entdecken und in Überlegungen schwelgen, was ich mir alles ansehen würde, wenn ich Touristin auf Canto Bight wäre. Kedpin Shoklop ist zwar ein sehr naives Wesen, das auf jeden Enkeltrick reinfallen würde, war mir aber trotzdem durchgehend sympathisch, sodass ich mit ihm mitleiden konnte und immer hoffte, dass er doch noch einen schönen Urlaub genießen darf. Insgesamt hat mich die Geschichte gut unterhalten und mir eine interessante Touristenführung durch Canto Bight geboten. Daher vergebe ich dafür 4 von 5 Holocrons.
The Wine in Dreams von Mira Grant
Wie der Titel schon sagt, geht es in dieser Geschichte um Wein, genauer gesagt um einen sehr exklusiven Wein. Die Sommelière und Weinverkäuferin Derla Pidys ist immer auf der Jagd nach den besten Weinen für ihre Kunden. Nun hat sie Gerüchte über einen ganz besonderen Wein gehört, welcher wie ein Wein, den man im Traum trinkt, schmecken soll. Dieser wird von den Zwillingen Rhomby und Parallela Grammus verkauft, die von sich selbst behaupten, aus einer anderen Dimension zu kommen. Doch Derla ist nicht die einzige Interessentin an diesem Wein, auch die Clubbesitzerin Ubialla Gheal möchte unbedingt eine der raren Flaschen erwerben. So beginnt ein Intrigenspiel rund um den begehrten Wein. Florian hat in seiner Rezension diese Geschichte als seine Lieblingsgeschichte bezeichnet und ihr fünf Holocrons gegeben. Da muss ich leider widersprechen. Mich hat diese Geschichte überhaupt nicht gepackt. Vor allem hat mich gestört, dass das Verhalten und die Motivation der Grammus-Schwestern für mich unverständlich und extrem seltsam blieben. Vielleicht bin ich einfach zu blöd, um deren Gedankengänge zu verstehen, oder es liegt daran, dass sie aus einer anderen Dimension kommen. Jedenfalls habe ich die ganze Zeit auf eine Auflösung gehofft, die mir ihre Pläne endlich begreifbar machen würde, wurde am Ende dann aber enttäuscht. Das hat mir den Lesespaß jedenfalls grundlegend verdorben, sodass ich nur 2 von 5 Holocrons für diese Geschichte vergebe.
Hear Nothing, See Nothing, Say Nothing von Rae Carson
In dieser Geschichte haben wir es mit dem Masseur Lexo Sooger zu tun, der in einem luxuriösen Spa seine Brötchen verdient, in welchem regelmäßig auch die Eliten Canto Bights seine Dienste in Anspruch nehmen. Da diese während der Massage gern auch mal das ein oder andere Geheimnis ausplaudern, möchte der ambitionierte Verbrecherboss Big Sturg Ganna den Masseur gern als Informanten anwerben. Als dieser sich aufgrund seiner Lebensphilosophie, immer neutral und aus der Schusslinie zu bleiben („Hear Nothing, See Nothing, Say Nothing“), weigert, entführt Ganna Lexos Tochter Lula und Lexo muss nun alles tun, um sein geliebtes Kind wiederzubekommen. Diese Geschichte besticht vor allem durch den krassen Kontrast zwischen den einfachen Bürgern, repräsentiert durch Lexo Sooger und seine Tochter Lula, und den (einfluss)reichen Gangster-Eliten, die gleichzeitig auch die Fäden in der Politik ziehen. Während Lula als eine Art Leibeigene Kinderarbeit in den Fathier-Ställen leisten muss, um sich irgendwann freikaufen zu können, schwimmen die wohlhabenden Verbrecherbosse im Luxus und können die ärmeren Bewohner der Stadt zu ihren Spielbällen machen, die zwischen den Fronten aufgerieben werden. Deshalb ist Lexos verzweifelter Kampf gegen dieses System und für seine Tochter umso spannender zu verfolgen. Für eine durchweg unterhaltsame und spannende Geschichte mit einem sympathischen Protagonisten vergebe ich 4 von 5 Holocrons.
The Ride von John Jackson Miller
Das Highlight haben sich die Redakteure des Sammelbandes für den Schluss aufgehoben, denn in The Ride geht es endlich zum Kern des Geschehens in Canto Bight: ins Casino. Mit Kaljach Sonmi lernen wir einen professionellen Glücksspieler kennen, welcher in den drei Suerton-Brüdern Dodi, Thodi und Wodi seine Meister findet. Als Kal in einem wichtigen Spiel gegen die drei Brüder all sein Geld verliert, kommt es für ihn knüppeldick, denn er verliert seine Anstellung beim Casino und Gangsterboss Big Sturg Ganna fordert, dass er seine Schulden von 800.000 Canto-Bight-Währungseinheiten bis zum Morgengrauen zurückzahlt. Da Kal schnell bemerkt, dass das die drei Brüder viel zu viel Glück im Spiel haben, um es noch mit Können oder Zufall erklären zu können, beschließt er, sich ihnen für die Nacht anzuschließen, auf die gleichen Wetten zu setzen und so das Geld zusammenzubekommen, um sein Leben zu retten. Doch die mysteriösen Glückssträhnen der Brüder folgen gewissen Gesetzmäßigkeiten, auf die der rational denkende Kal erst einmal lernen muss zu vertrauen. Es beginnt eine emotionale und finanzielle Berg- und Talfahrt, die die ganze Nacht andauert. Kann Kal bis zum Morgengrauen die 800.000 gewinnen und sein Leben retten? Diese Geschichte, die mich ein wenig an eine meiner Lieblingsnovellen, Spiel im Morgengrauen von Arthur Schnitzler, erinnert hat, ist meiner Meinung nach die spannendste, da das Glücksspiel eben so unberechenbar ist und man nie weiß, wie die nächste Runde am Spieltisch enden wird. Gleichzeitig enthält The Ride aber auch mit den drei Brüdern eine Art spirituelle Komponente, da das extreme Glück der Brüder eventuell mit der Macht zusammenhängen könnte. So fühlt sich die Geschichte von allen vieren am meisten nach Star Wars an. Schließlich macht der Protagonist auch eine Entwicklung seiner Persönlichkeit durch, was bei einer Geschichte, die nur einen so kurzen Zeitraum behandelt, nicht selbstverständlich ist. So hebt sich John Jackson Miller mit seiner Geschichte doch deutlich vom Rest ab, weshalb ich 5 von 5 Holocrons vergebe.
Das Gesamtkonzept
Insgesamt erfüllt die Anthologie durchaus ihren Zweck, denn als Leser hat man nach der Lektüre einen gute Vorstellung von der Stadt Canto Bight und ihren Bewohnern. Allerdings war das dann auch schon der gesamte Informationswert, den man aus dem Buch ziehen kann, was ich dann doch etwas dünn finde. Es wirkt nicht so, als hätte irgendetwas, was in diesen Geschichten passiert ist, noch weitergehenden Einfluss auf andere Erzählungen, weshalb man die Kurzgeschichten, auch wenn sie größtenteils unterhaltsam zu lesen waren, schnell wieder vergessen haben wird. Untereinander sind die Geschichten, die, wie gesagt, alle in derselben Nacht spielen, jedoch toll verknüpft und spielen immer wieder aufeinander an. Zum Beispiel möchte eine Figur aus Rules of the Game gern einen Termin bei Lexo Sooger buchen, doch der ist nicht da. Weshalb er nicht da ist, erfahren wir dann später in Hear Nothing, See Nothing, Say Nothing. Das Gesamtkonzept wirkt durch solche Kleinigkeiten wirklich gut durchdacht und stimmig.
Fazit
Mit meinen Einzelbewertungen der Geschichten komme ich auf einen Schnitt von 3,75 Holocrons. Dies zeigt auch gut, dass die Geschichten für sich genommen von einer guten Qualität sind. Letztendlich frage ich mich aber schon, ob ich einem Buch mit so wenig Relevanz 4 von 5 Holocrons geben kann. Mit anderen Werken, denen ich 4 Holocrons gegeben habe, wie Leia, Prinzessin von Alderaan oder Rogue One, kann Canto Bight einfach nicht mithalten. Und es gehört definitiv auch nicht zu den Büchern, die ich jedem ans Herz legen würde. Nur wer wirklich Komplettist ist, braucht dieses Buch in seiner Sammlung. Alle anderen können sich das Geld auch sparen, denn man verpasst nicht viel. Unter diesen Umständen runde ich in der Gesamtwertung auf 3 von 5 Holocrons ab.
Wir danken Penguin Random House UK und dem Century-Verlag recht herzlich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
Canto Bight in der britischen Ausgabe von Century könnt ihr euch auf Amazon.de bestellen. Eine deutsche Ausgabe ist bis jetzt noch nicht angekündigt. Wenn sich das ändern sollte, erfahrt ihr es bei uns.
Was ist eure Meinung zu Canto Bight?