Rezension: Canto Bight von Ahmed, Grant, Carson & Miller

Canto Bight (05.12.2017)
Canto Bight (05.12.2017)

Heute erscheint bei Del Rey ein weiteres Buch aus der Journey to Star Wars: The Last Jedi! In Canto Bight entführen uns Saladin Ahmed, Seanan McGuire/Mira Grant, Rae Carson und John Jackson Miller in die Casinostadt aus Die letzten Jedi, wo verschiedene nichtmenschliche Protagonisten in ein und derselben Nacht in vier verschiedenen Novellen vier verschiedene Abenteuer erleben, die ihre Zukunft für immer verändern werden. Mit freundlicher Unterstützung von Del Rey durfte ich das Buch bereits lesen und kann euch heute meine Eindrücke von diesem ungewöhnlichen Projekt schildern.

Meine Erwartungshaltung: Trotz des großen Erfolgs, der From A Certain Point of View war, fand ich es zunächst etwas schade, dass schon wieder eine Anthologie von Del Rey ins Haus steht. Ich befürchtete, dass das Konzept mich langweilen würde. Außerdem war ich skeptisch, ob eine prunkvolle Casinostadt bzw. die dort lebenden Aliens, die wir im Film sehen werden, als Protagonisten interessant genug sein würden, bedenkt man, dass der Film selbst kurz bevorsteht und wir alle danach dursten, mehr über das Schicksal von Rey, Luke und Co. zu erfahren. Selbst Phasma schien mir da interessanter, da es dort wenigstens um tragende Filmfiguren ging. So gesehen war ich recht gleichgültig dem Buch gegenüber, als ich es letztendlich aufschlug.

Rules of the Game von Saladin Ahmed: Diese Gleichgültigkeit sollte im Laufe dieser ersten Story nur noch schlimmer werden. Kedpin Shoklop, ein naiver Vertreter der Wermal-Spezies, hat den Titel des „Verkäufer des Jahres“ bei einer Vaporatorenfirma ergattert und wurde zu einem Urlaub voller Vergnügungen nach Canto Bight geschickt, wo ihn der Killer Anglang Lehet ausnutzen will, um einen widerwärtigen Polizisten des Canto Bight Police Departments zu ermorden, der der Unterwelt Schwierigkeiten bereitet. Kedpins Naivität ist zwar am Anfang für ein paar Lacher gut, wird aber auf Dauer repetitiv und vorhersehbar, vor allem, da sich Ahmed an sämtlichen Klischees bedient, mit denen Trickbetrüger Touristen übers Ohr hauen wollen. Anglang Lehet ist da schon etwas interessanter, bleibt aber auch eine sehr klischeehafte Charakterzeichnung eines gealterten Kriminellen, der einfach nur raus aus dem „Spiel“ der Unterwelt möchte. Immerhin der Softcore-Fetisch-Keller, in dem ein als Baby verkleideter Riesenalien namens „Sweetheart“ zahlenden Kunden den Hinterkopf tätschelt, sie dabei abwechselnd als „pretty boy“ und „bad boy“ bezeichnet und anschließend in kostbaren Duftmitteln reinigt, dürfte dem Leser aber noch eine Weile in Erinnerung bleiben, da er mit der sonstigen vorhersehbaren Monotonie der Story bricht. Alles in allem komme ich für Rules of the Game auf 2 von 5 Holocrons – kurzweilige Unterhaltung mit einem netten Ende, aber nichts Weltbewegendes.

The Wine in Dreams von Mira Grant: Hierbei handelt es sich vermutlich um meine Lieblingsgeschichte im ganzen Band. Derla Pidys ist eine Sommelière – und nicht nur irgendeine, sondern die beste, gefragteste Weinkennerin und -verkäuferin der Galaxis. Sie hört davon, dass die möglicherweise aus einer anderen Dimension stammenden Zwillinge Rhomby und Parallela Grammus einen kostbaren Wein besitzen, der alle anderen Weine in den Schatten stellt und jedem schmeckt – der titelgebende Traumwein. Derla begibt sich nach Cantonica, um den Zwillingen dort eine Flasche abzukaufen. Von der Konzeption her klang diese Story erst mal extrem langweilig – was interessiert es mich, welchen Wein irgendwelche Aliens schlürfen? Doch Mira Grant schafft es, um diesen Wein herum einen wahren Thriller zu erzählen. Nicht nur Derla ist hinter der Flasche her, sondern auch Ubialla Gheal, eine einflussreiche Clubbesitzerin in Canto Bight und bis dato eine Freundin von Derla. Es entwickelt sich ein Katz-und-Maus-Spiel bei der Jagd auf den Wein und die letztendliche Verhandlung zwischen den Grammus-Zwillingen, Ubialla und Derla ist eine Scharade, die mich an die kunstvollen Pläne von Großadmiral Thrawn aus Erben des Imperiums erinnert. Thrawn wäre stolz darauf gewesen. Eine intime, charaktergetriebene Geschichte über die Welt der Schönen und Reichen und die Abgründe, die darin lauern, wenn Schulden und Gier ins Spiel kommen. Die Grammus-Zwillinge sind durch ihre nichtmenschliche Andersartigkeit auch wirklich köstliche und bisweilen auch gruslige Co-Protagonistinnen, mit denen man ebenso mitfiebert wie mit Derla Pidys selbst. Vom Konzept her sicher der „Underdog“ dieser Novellen, doch durch die Umsetzung so fesselnd und überragend, dass ich hier auf 5 von 5 Holocrons komme.

Hear Nothing, See Nothing, Say Nothing von Rae Carson: Der alternde Masseur Lexo Sooger steht in Canto Bight allen Schönen und Reichen und vor allem Mächtigen mit seinen Diensten zur Seite – sogar der Unterweltboss Ganna und Canto Bights Herrscherin Contessa Alissyndrix zählen zu seinen Kunden. Seine Knochen und Gelenke altern jedoch und seine berufliche Zukunft ist in Gefahr, und darüber hinaus muss er sich um seine menschliche Adoptivtochter Lula kümmern, die in den Fathier-Ställen arbeitet, um sich ihre Freiheit zu erkaufen, denn jeder in Canto Bight schuldet irgendjemandem etwas und gehört somit dieser anderen Person. (Tatooine lässt grüßen…) Ganna plant jedoch einen Coup in Canto Bight, für den er Lexo als Spion anheuern möchte, der ihm die Geheimnisse seiner redseligen Kundschaft verraten soll, und entführt Lula, um Lexo gefügig zu machen. Gannas Rivalin, die Contessa, bietet ihm Hilfe an, doch dafür muss er jemanden umbringen und mörderische Talente einsetzen, die er glaubte, in seiner Vergangenheit vor seiner Ankunft auf Canto Bight zurückgelassen zu haben… Während Rae Carsons Kurzgeschichte in FACPOV mich eher kalt ließ, zeigt sie hier, dass sie doch eine glaubwürdige, spannende Handlung auf die Beine stellen kann. Gerade die Einblicke in die absolute High Society von Canto Bight – nicht nur Möchtegerne wie Ubialla Gheal, sondern Counselor Ganna und Contessa Alissyndrix, die trotz kurzer „Screentime“ als dreidimensionale Charaktere auftreten – machen diese Story interessant für den Leser, der mehr über die titelgebende Casinostadt erfahren möchte. An Spannung und auch Humor mangelt es zudem ebenfalls nicht, wenngleich manche Elemente der Handlung fragwürdig bleiben. (Beispielsweise kann Ganna die manipulativen Pheromone von Lexos Spezies riechen, aber nicht die Spur aus aromatischen Kräutern, die Lula ihrem Adoptivvater hinterlässt…) Somit komme ich somit auf 4 von 5 Holocrons für eine actionreiche, aber nicht perfekte Story voller unerwarteter Wendungen, die uns einen arthritischen Masseur als Protagonisten einer Star Wars-Story glaubhaft macht.

The Ride von John Jackson Miller: Dies ist mit etwas Abstand die längste Geschichte in diesem Buch, und bedenkt man, dass Miller zwei meiner liebsten SWEU-Werke geschrieben hat (die für mich bis heute ungeschlagenen Knights of the Old Republic-Comics sowie den Roman Kenobi), ging ich auch mit hohen Erwartungen daran. Der Protagonist ist Kaljach Sonmi, ein frustrierter und bald auch gescheiterter System-Glücksspieler in Canto Bight, der von einem Trio aus Suerton-Brüdern vernichtend geschlagen wird. Die drei Herrschaften mit den Namen Thodi, Dodi und Wodi, auch bekannt als die „Lucky Three“ bzw. „Glücklichen Drei“, gewinnen jede Nacht abnormal hohe Summen an den Casinotischen, die sie bald aber wieder verzocken, nur um den Zyklus erneut zu beginnen. Da Kal binnen einer Nacht die Summe von 800.000 Canto-Bight-Währungseinheiten auftreiben muss, weil sein Gläubiger, Counselor Ganna, ihn sonst am nächsten Morgen tot sehen will, beschließt er, sich den wundersamen Brüdern für eine Nacht anzuschließen und bei all ihren Wetten mitzugehen. Bald erkennt er, dass hinter dem Glück der Drei ein System steckt, das mit der Kombination der anwesenden Brüder bei einem Glücksspiel zu tun hat… doch genügt dieses Wissen, um seinen Kragen zu retten, oder verzockt er sich mit diesem esoterischen System zum letzten Mal? Millers Geschichte ist die wohl unterhaltsamste im ganzen Buch und zugleich auch die einzige, die uns wirklich am Glücksspielleben im Casino teilhaben lässt, das in den anderen Geschichten nur im Hintergrund auftaucht. Zugleich ist sie aber auch ein bisschen vorhersehbar, nachdem Kal das System hinter dem Glück der Suertons ausfindig gemacht hat, deren Speziesname für mich als Spanischlehrer übrigens ein ebenso offensichtlicher Wink mit dem Zaunpfahl ist wie die Namen „Rhomby“, „Grammus“ und „Parallela“ es für Mathematiker sein sollten. Weite Teile der Geschichte über war sie für mich ein klarer Fall für solide 3 von 5 Holocrons, doch der spannende Showdown am Ende, der Humor sowie die Einbindung einer Kenobi-Figur, die auf dem klassischen Marvel-Jabba basiert, retten sie für mich persönlich auf 3,5 bzw. durch Rundung auf 4 von 5.

Worldbuilding und Intertextualität: Ein absoluter Pluspunkt für dieses Buch ist sein Konzept. Alle vier Geschichten, auch die in meinen Augen eher schwächere erste Novelle von Saladin Ahmed, sind miteinander verknüpft. Sie spielen zur selben Zeit in derselben Stadt und teilen sich Auftritte mancher Figuren sowie manche Ereignisse. In Ahmeds Geschichte stehen die Protagonisten z.B. einmal bei einer Bar vor verschlossenen Türen und in der zweiten Geschichte erfahren wir dann, wie es dazu kam. Da alle Geschichten diese Verknüpfungen aufweisen, entsteht so eine gewisse Erwartungshaltung durch das Vorwissen des Lesers. Wir bekommen nicht also nur vier Novellen nacheinander geliefert, sondern gemeinsam erzählen sie eine größere Geschichte und bauen aufeinander auf. Dadurch wirkt Canto Bight wie ein lebendiger, realer Ort mit vielen verschiedenen Facetten, die wir in diesen Geschichten kennenlernen. Wenn wir in Episode VIII nun Canto Bight betreten, werde ich eine gewisse Erwartungshaltung daran haben, manche Orte und Personen aus den Geschichten wiederzuerkennen, und ich verbinde nun auch emotional bereits etwas mit dieser Stadt, die auf den ersten Blick für mich nicht wirklich in Star Wars passte, nun dort aber ihren festen Platz hat. Außerdem sei erwähnt, dass das Buch zwar weitgehend ohne Erste Ordnung und Widerstand aufkommt, aber durch verschiedene Planetennamen und Aliens aus den ersten beiden Filmtrilogien gutes Worldbuilding betreibt – schade also, dass wir diese bekannten Aliens wohl nicht im fertigen Film sehen werden.

Fazit Canto Bight hat mich positiv überrascht. Mit der Haupthandlung unserer Saga hat dieser Band zwar wenig zu tun (und fühlt sich daher auch nur selten wie klassisches Star Wars an), da er sich auf sehr kleine, unbedeutende Protagonisten konzentriert, doch der Leser wird in diesen Geschichten kurzweilige und auch spannende Unterhaltung finden, die einen Schauplatz aus dem neuen Film plastisch zum Leben erweckt. Die Interkonnektivität der Geschichten zeugt von der organisatorischen Kompetenz des Del-Rey-Redaktionsteams und spricht ebenfalls für Canto Bight. Alles in allem komme ich für das gesamte Buch auf 4 von 5 Holocrons. Abzug gibt es für die schwache erste Story und die mangelnde Relevanz für die Gesamtsaga. Man kann das Buch vor dem Film lesen und dadurch ein tieferes Verständnis der Gesellschaft auf Cantonica gewinnen, aber man kann es auch lassen und verpasst nicht viel. Buchfans, wie sie hier in der Jedi-Bibliothek ja unsere Klientel sind, sollten sich den Band aber nicht entgehen lassen. Empire’s End mal beiseite, hatte Del Rey dieses Jahr einen ziemlich guten Lauf, was Romane angeht.

Der Rezensent vergibt 4 von 5 Holocrons!
Der Rezensent vergibt 4 von 5 Holocrons!

Was meint ihr zu dem Buch?

Wir danken Del Rey für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

4 Kommentare

    1. Die Geschichten sind deutlich länger als in dem Aliens-Band zu Erwachen der Macht, und stärker miteinander verknüpft. Die einzige Gemeinsamkeit, die ich sehen kann, ist, dass es in beiden um Aliens aus dem neuen Film geht.

      Was die zweite Frage angeht, so habe ich mich diesbezüglich mal umgehört und es sieht extrem schlecht aus, dass es einen Band 2 geben wird. Ins Detail darf ich da aber nicht gehen.

    2. Danke dafür 😉
      Hab mich nur gewundert, da es damals als Spezies 1 geführt wurde. Längere Geschichten ist klar, aber ich meinte dies vor allem in Bezug auf die Relevanz für den eigentlichen Film.

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