Auch zur zweiten Phase der Hohen Republik veröffentlichte Titan einen Sammelband der Kurzgeschichten, die unter dem Titel Tales of Enlightenment in den Star Wars Insider-Magazinen erschienen sind. Das gleichnamige Hardcoverbuch erschien am 2. April 2024 und umfasst alle fünf Kurzgeschichten aus den Magazinen #213 bis #219, Interviews mit den neuen Autoren der Phase II, einen Guide zu den bisherigen Teilen der Hohen Republik-Serie sowie eine Bonusgeschichte. Die zusammengetragenen Erzählungen wurden alle vom britischen Autor George Mann verfasst.
Die Kurzgeschichten
New Prospects Part One
Bereits vor der Schlacht von Jedha ist das Enlightenment eine beliebte Bar in der heiligen Stadt. Keth, der im Kybertempel arbeitet, trifft sich dort regelmäßig (eigentlich jeden Tag) mit seinen Freunden – der Twi’lek Moona und dem Sullustanischen Hafenarbeiter Piralli. Doch an diesem Abend betritt ein neuer Gast die Kneipe: die Hyperraumprospektorin Saretha von Beel, die den Stammgästen eine Geschichte erzählt, wie sie noch keiner von ihnen gehört hat…
In diesem ersten Teil baut George Mann wortreich das Enlightenment und seine Gäste auf. Der Leser bekommt den Eindruck, Teil eines lange bestehenden Freundeskreises zu werden. Keth und sein in Psalmen sprechender Droide P3-7A erscheinen aufgeweckt und träumen gerne von Abenteuern. Der Mensch bestaunt den Auftritt des Jedi Lee Harro in Sarethas Bericht. Moona und Piralli hingegen wirken (zumindest anfänglich) zurückhaltend. Sie sticheln sich gegenseitig und insbesondere die Twi’lek setzt stark auf Sarkasmus.
Die Atmosphäre, die der Geschichtsabend erschafft, kann als heimelig und angenehm beschrieben werden. Es gelingt dem Autor, eine emotionale Beziehung zwischen Leser und Enlightenment aufzubauen, was eine wichtige Voraussetzung für die weiteren Erzählungen ist.
New Prospects Part Two
In der Fortsetzung ihrer gemütlichen Lagerfeuergeschichte erzählt Prospektorin Saretha von Beel von ihren Abenteuern mit Jedi Lee Harro auf Vexos, wo sie es nicht nur mit Piraten, sondern auch mit gemeingefährlicher Fauna zu tun bekommen…
Wie bereits im vorherigen Teil dient auch diese Geschichte weiterhin der Einführung der Leser in Grundlagen der zweiten Phase der Hohen Republik. Nachdem man zuvor klärte, was ein Hyperraumprospektor macht, offenbart diese Fortsetzung die Glücksjägermentalität, der viele der Prospektoren anhängen. Das ist insbesondere für neue Leser durchaus sinnvoll.
Darüber hinaus mutiert die Erzählung mehr und mehr zu einer Abenteuergeschichte, welche ganz nett, aber nicht übermäßig spannend verläuft. Der Abschluss ist hoffnungsvoll gehalten und konnte mich mit einer kleinen Wendung überraschen.
A Different Perspective
Vor dem Festival des Gleichgewichts kommt es beinahe zu einem Speeder-Unfall, welcher jedoch durch das Eingreifen einer Jedi verhindert werden kann. Nur scheint der Gerettete grade davon noch schockierter zu sein. In der Sicherheit des Enlightenments gibt er sich zu erkennen: als Anhänger des Pfades der Offenen Hand…
In A Different Perspective bekommt der Leser eine umfassende Einführung in die Agenda des Pfades der Offenen Hand. Dabei geht George Mann einen ungewöhnlichen, aber interessanten Weg: Statt der Führungsebene der Sekte um die Mutter und den Herold herum, lässt er mit Whool ein einfaches Mitglied berichten. Dieser persönliche Ansatz wird dadurch unterstrichen, dass der Pfad-Anhänger jenes Ereignis beschreibt, welches in seiner Vergangenheit der direkte Auslöser für den Beitritt zur Gemeinschaft war. Diese individuelle Note gibt dem Leser mehr zu denken. Dazu trägt auch das Ende bei, welches offen lässt, ob die Agenda des Pfads der Offenen Hand nicht vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit enthält.
The Unusual Suspect
You worry too much. Nothing bad ever happens in Enlightenment.
Tales of Enlightenment, Titan, 1.Auflage, 2024, S. 26
Diese Aussage Moonas wird schon bald auf die Probe gestellt. Zur gleichen Zeit wie die Friedensverhandlungen zwischen Eiram und E’ronoh scheint Kradon, der Inhaber des Enlightenment, von seinen zwielichtigen Nebengeschäften eingeholt zu werden. Als die Bar in die Hand einer bewaffneten Gang fällt, kommt Hilfe von unerwarteter Stelle…
Gegenüber den vorherigen Erzählungen nimmt der Autor hier eine größere künstlerische Distanz zum Grundlagenwissen der zweiten Phase ein. Die Geschichte verläuft spannend und einfallsreich. George Mann spielt mit dem alten Vorurteil „Don’t judge a book by its cover“, indem er eine neue Gruppe von Machtnutzern einführt, die Piralli äußerst zwielichtig erscheint, was sich jedoch bald als unbegründet erweist. Eine überzeugende Botschaft und Moral. Zusätzlich wird einmal mehr die Vielzahl an unterschiedlichen Religionen auf Jedha verdeutlicht.
Moona und Piralli spielen eine aktivere Rolle in dieser Story und geraten fortan in den Fokus. Des Weiteren beweist der Autor erneut, wie man gekonnt offene Enden für Erzählungen schreibt.
No Such Thing As A Bad Costumer Part One
Kurz vor dem abrupten Ende der Friedensverhandlungen treffen sich ein Eiram-Soldat und eine E’ronoh-Kämpferin im Enlightenment. Für einen Moment erlaubt die Bar den Traum vom Frieden…
Der Leser bekommt hautnah die Auswirkungen von Kradons Grundsatz „Jeder ist willkommen im Enlightenment“ zu spüren. Das Aufeinandertreffen der zwei Feinde zeigt zum einen die Auswirkungen von Krieg und Propaganda auf die Psyche der Kämpfer. Obwohl bereits in Vergessenheit geraten ist, wie die Auseinandersetzung wirklich begann, behauptet jede Seite die „wahre“ Wahrheit zu kennen. So baut sich eine Front nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch im Geist auf.
Zum anderen schafft es das Enlightenment, diese imaginäre Mauer für einen kurzen Moment zu durchbrechen. Die Parteien können sich darauf einigen, dass die Sicherheit von Familie und Freunden das Wichtigste ist. Mit dem Ruf der Pflicht zerplatzt dieser Traum letztlich wie eine Seifenblase. Eine wirklich gelungene und philosophische Kurzgeschichte.
No Such Thing As A Bad Costumer Part Two
Mit dem Ausbruch der Schlacht von Jedha gerät bald auch das Enlightenment in den Fokus des Geschehens. Doch seine Gäste halten zusammen und setzen sich zur Wehr…
Nach dem ruhigen Beginn bietet der zweite Teil passend zur ausbrechenden Schlacht mehr Action. Lesern der Hauptcomicreihe der Hohen Republik von Marvel dürfte dieser Abschnitt bekannt vorkommen, denn auch Autor Cavan Scott beschreibt dort die Belagerung des Enlightenment. Es ist spannend zu sehen, wie George Mann diesem Geschehen eine neue Perspektive verleiht.
Moona und Piralli bleiben im Fokus der Handlung und müssen sich nun wirklich beweisen. Sie bauen ihr Vertrauen zueinander aus, indem sie zusammenarbeiten, und wachsen dem Leser so noch mehr ans Herz. Während die Twi’lek Erfindungsreichtum beweist, zeigt der Sullustaner Initiative. So offenbart der Autor bisher ungesehene Charakterzüge an seinen Figuren.
Das Ende ist schön geschrieben und gleichzeitig ambivalent. Es zieht Hoffnung aus dem Zusammenhalt der Bewohner Jedhas, zeigt aber auch auf, wie durch den plötzlichen Krieg vor ihrer Haustür für sie eine Welt zusammenbricht.
Last Orders
Enlightenment went on, as it always had. Not everything was the same though. Not all losses could be so easily accounted for, patched over, or made better with plaster and brushes and a fresh coat of paint. Some bit much deeper.
Tales of Enlightenment, Titan, 1.Auflage, 2024, S. 46
Einige Monate nach der Schlacht sind die kosmetischen Verluste ausgebessert, doch manche Verluste sind nicht wieder wett zu machen. Um ihren Freund Piralli auf andere Gedanken zu bringen, schleppt Moona ein vermeintliches Jedi-Artefakt ins Enlightenment. Doch so richtig weiß keiner, was es mit dem kleinen Würfel auf sich hat. Zeit für einen Experten – Auftritt: Jedi-Meister Lee Harro!
Last Orders erfüllt einen doppelten Zweck und tut dies hervorragend. In erster Linie stellt George Mann den Status Quo dar. Es wird sowohl aufgezeigt, was sich durch die Schlacht verändert hat, als auch was gleich geblieben ist. Die sehr persönliche Sichtweise Pirallis nimmt den Leser dabei emotional mit und bietet zusätzliche erzählerische Tiefe.
Zum anderen beweist Moona, dass man nach vorne blicken sollte und das Leben weitergeht. Grade sie, die sonst sehr skeptisch gegenüber den Jedi und der Macht war, erwirbt das seltsame Macht-Artefakt von einem Straßenhändler. Grade sie, die neben dem Enlightenment keinerlei Beschäftigung nachzugehen schien (über sie erfuhr der Leser nie besonders viel), hat nun eine Freundin und treibt sich außerhalb der Bar rum. Dies zeigt ihren aktiven Umgang mit der Trauer und ihre Offenheit für Veränderung.
Der letzte Kunstgriff gelingt George Mann dann mit dem Auftritt Lee Harros, jenes Jedi, welcher in Sarethas Geschichte in New Prospects die Hauptrolle spielte und nun seinerseits eine Story mitbringt. Das korreliert nicht nur mit Moonas Sinneswandel, sondern schließt erzählerisch die Schleife zum Beginn der Tales of Enlightenment. So wird die Beständigkeit des Enlightenment symbolisiert und dem Leser vermittelt.
Den gelungenen Abschluss bildet eine Weisheit Lee Harros, die ich euch nicht vorenthalten will:
„But the events you described – did they actually happen?“ pressed Piralli. „Or was it just a legend?“
Harro offered him a sly grin. „Does it matter, so long as there was purpose to the telling and enjoyment in the listening?“
Piralli frowned. „I suppose not.“
„All things are possible if you are open to them“, said Harro. „Even the outlandish tales of a Jedi.“
Tales of Enlightenment, Titan, 1.Auflage, 2024, S. 50
Missing Pieces
Ein weiterer Sprung um fünf Jahre in die Zukunft zeigt Piralli immer noch im Enlightenment. Der Sullustaner träumt von der Fertigstellung seiner eigenen Raumjacht, um die Sterne zu bereisen. Doch das letzte Bauteil bleibt unbezahlbar. Bis neue Gäste die Bar betreten, denn, wie wir mittlerweile alle wissen, bringen neue Gäste im Enlightenment neue Möglichkeiten und neue Geschichten…
Diese Bonus-Geschichte, die in den Insider-Magazinen nicht erschien, erweitert den Tales of Enlightenment-Zyklus sinnvoll. Wie Moona bekommt auch Piralli nun einen würdigen Abschluss seiner Geschichte spendiert. George Mann selbst kehrt mit Missing Pieces gedanklich ebenfalls an den Anfang seiner Arbeit bei der Hohen Republik zurück, denn die auftretende Jedi Rooper Nitani erschien erstmals in seinem Buch Die Suche nach der Verlorenen Stadt.
In der vorliegenden Kurzgeschichte schwankt der Autor erzählerisch zwischen dem Bleibenden und der Veränderung, was nicht nur abwechslungsreich ist, sondern letztlich die große Konstante herausarbeitet: Im Enlightenment werden Geschichten erzählt!
Umfang und Aufmachung
Wie bereits der Vorgänger Starlight Stories macht das Hardcover des Sammelbandes einiges her. Als Leser bekomment man konstant interessante und stimmige Bilder von Jedha City präsentiert. Die Interviews mit George Mann, Lydia Kang und Zoraida Cordova, welche die Kurzgeschichten beschließen, bieten interessante Einblicke ins Making-of der zweiten Phase der Hohen Republik. Vielleicht helfen sie dem einen oder anderen auch, manche Entscheidungen besser nachvollziehen zu können. Ich für meinen Teil war begeistert über die Vielfalt an besprochenen Themen.
An die Interviews schließt sich ein Guide zur ersten und zweiten Phase an, was für Neueinsteiger sicherlich sinnvoll ist und einen angenehmen Überblick über die bisherigen Publikationen liefert.
Die Problematik von Starlight Stories, dass den Lesern der Magazine nichts Neues geboten werden konnte, hat Tales of Enlightenment nur noch teilweise. Zwar ist eine einzige Bonus-Geschichte kein überragender Kaufanlass, aber die Erzählung erweitert das Bestehende sinnvoll. Man merkt ihr an, dass sie mit der gleichen Liebe zum Detail verfasst wurde, wie die vorherigen Erzählungen.
Star Wars: Die Hohe Republik ist ein mehrjähriges Buch- und Comicprogramm, das hunderte Jahre vor den Skywalker-Filmen spielt und die Jedi in ihrer Blütezeit zeigt. Weitere Infos, News, Podcasts und Rezensionen gibt es in unserem Portal und in der Datenbank. Beachtet auch unsere Guides zur Lesereihenfolge von Phase I, Phase II und Phase III.
Ich fand diese Kurzgeschichten-Sammlung einfach großartig.
Jede Geschichte hatte etwas eigenes an sich und sie haben zusammen trotzdem gut funktioniert.
Die Rahmenhandlung und die Figuren darin sind mir so schnell ans Herz gewachsen, dass ich das Enlightenment bereits zu einem meiner Lieblingsorte in Star Wars zähle.
Uneingeschränkte Leseempfehlung
Da stimme ich dir zu. Vielen Dank für deine Gedanken 😇