Rezension: Brotherhood von Mike Chen

Am 10. Mai veröffentlicht Del Rey mit Star Wars: Brotherhood von Mike Chen den ersten Obi-Wan-Kenobi-Roman des Kanons, und hat damit große Fußstapfen zu füllen, gilt doch John Jackson Millers Kenobi als einer der besten Legends-Romane. Chens Roman setzt allerdings ein paar Jahre vor Kenobi an, in den Wochen nach der Schlacht von Geonosis aus Angriff der Klonkrieger, nur sehr kurze Zeit nach dem YA-Roman Hoffnung der Königin. Mit freundlicher Unterstützung des Verlags konnte ich mir diesen neuen Klonkriegsroman bereits zu Gemüte führen und möchte euch heute meine spoilerfreien Eindrücke präsentieren.

Brotherhood (10.05.2022)
Brotherhood (10.05.2022)

Die Klonkriege haben begonnen. Während die Frontlinien gezogen werden und jeder Planet sich entlang dieser entweder auf die Seite der Republik oder der Separatisten stellen muss, weht auch auf Coruscant im Jedi-Tempel ein anderer Wind. Auf Drängen des Kanzlers werden die Jedi nicht nur zunehmend in militärische Belange hineingezogen, sondern auch massenweise Padawane schlagartig zu Jedi-Rittern befördert – nicht zuletzt auch Obi-Wans ungestümer Schüler Anakin Skywalker. Indes werden die hängenden Brückenstädte Cato Neimoidias buchstäblich erschüttert – und zwar von einer Reihe verheerender Explosionen, die den Cadesura-Bezirk der Hauptstadt Zarra in die Tiefe stürzen lassen. Count Dooku macht unmittelbar die Republik für den tödlichen Anschlag verantwortlich, weswegen Obi-Wan alleine als unbewaffneter Unterhändler und Ermittler nach Cato Neimoidia geschickt wird, um die wahren Schuldigen ausfindig zu machen und zu verhindern, dass die neutralen Neimoidianer dem Beispiel des Extremisten Nute Gunray folgen und sich den Separatisten anschließen…

Brotherhood zu lesen hat mich direkt in die Zeit der Prequels zurückgezogen, und damit meine ich nicht nur die Timeline, in der das Buch spielt, sondern auch meine Jugendjahre. Mike Chen bedient sich nicht nur an der kanonischen The Clone Wars-Serie und anderen kanonischen Storys in jener Ära, sondern integriert auch Anspielungen auf die Genndy-Tartakovsky-Serie Clone Wars und andere legendäre Kenobi-Abenteuer, wobei er gelegentlich auch auf den heroischen Pathos der Prosa aus Matthew Stovers Episode-III-Roman zurückgreift. All diese Zutaten, gepaart mit Chens akutem Sinn für die Themen der Saga in jener Ära, erwecken bei mir als Kind der Prequels das Gefühl, wieder zuhause zu sein. Mehrere andere Leser, mit denen ich gesprochen haben, meinten auch, das Buch fühle sich wie ein The Clone Wars-Handlungsbogen an, und während der Vergleich durchaus valide ist, ist es zugleich einfach noch viel mehr als das. Chen hat auf jeden Fall seine Hausaufgaben in Kanon und Legends gemacht und vermag in dieser Hinsicht bei dahingehend erfahrenen Lesern zu punkten.

Aus Mike Chens Gespür für die Themen der Prequels ergibt sich direkt die größte Stärke von Brotherhood: die Charakterisierung Anakin Skywalkers. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen jeden Roman und Comic gelesen, in dem Anakin aufgetaucht ist, von der Jedi Quest-Reihe über die legendären Klonkriegsromane bis hin zu Brotherhood. Insofern ist es keineswegs leichtfertiges Lob, wenn ich behaupte, dass ich selten – wenn überhaupt jemals – so einen gut charakterisierten Anakin lesen durfte wie hier. Vielleicht liegt es auch an der Ära zu Beginn der Klonkriege und dem Vorteil des Romans, nach der Vollendung von The Clone Wars entstanden zu sein, aber Chen hat die Figur perfekt getroffen. Er zeigt uns einen jungen Mann, der zwischen teils fragwürdigen Vorbildern hin und her gerissen ist, während er tief sitzende Traumata bewältigen und sich in Zeiten des galaktischen Umbruchs in zwei neuen Rollen orientieren muss: der des Jedi-Generals an der Spitze gehorsamer Soldaten, und der des Ehemanns in einer verbotenen, geheimen Ehe. Anstatt Anakin als einen zum Scheitern verurteilten, künftigen Sith-Lord darzustellen, zeichnet Chen ein komplexes Bild einer verwundbaren Person, deren Schicksal in jeder Hinsicht noch offen ist.

Dieses Gespür erstreckt sich aber natürlich auch auf den anderen titelgebenden „Bruder“, Obi-Wan Kenobi, der zugleich die eigentliche Hauptfigur des Romans ist. Bei Obi-Wan habe ich das Gefühl, dass Chen sowohl seine Stärken als weiser, ausgeglichener Jedi darstellt, als auch seine Fehlbarkeit als dogmatischer Diener der Republik, der zwar die Fehler des Systems sieht, aber zu sehr an dieses glaubt, um dessen ideologische Regeln zu brechen. Dies ist absolut akkurat und auch eine Stärke der Figur, die im direktem Kontrast zu Anakins Impulsivität steht, hat aber auch bisweilen dafür gesorgt, dass ich mich eher mit Anakin identifizieren konnte als mit Obi-Wan. Zugleich sehen wir aber auch, dass Anakin einen Einfluss auf Obi-Wan hatte, denn auch dieser bricht hin und wieder die Regeln, wenn er sich dazu gezwungen sieht.

Die Spannungsfelder zwischen Obi-Wan und Anakin, bis hin zum tragischen Ende ihrer Freundschaft in Die Rache der Sith, werden durch eine andere Figurenkonstellation in Brotherhood versinnbildlicht, was wieder das thematische Gespür Chens aufzeigt, aber auch verdeutlicht, dass Figuren in Geschichten – insbesondere bei Star Wars – oft nur Symbole oder Metaphern sind. Die Rede ist von Ruug Quarnom, einer einstigen neimoidianischen Kommandosolatin, die nun als Wächterin in der Hauptstadt arbeitet und sich durch Prinzipientreue und Weisheit auszeichnet, und ihrem ungestümen Partner und Schützling Ketar, der nach dem Bombenanschlag auf Rache an der Republik sinnt. Es war schön, hier auch neimoidianische Charaktere zu bekommen, die nicht die schleimigen Paradeschurken aus den Filmen, sondern tatsächlich vielschichtige Figuren sind. Die Parallelen zu Obi-Wan und Anakin sollten offensichtlich sein, und Chen hat auch die perfekte Figur gefunden, um in dieser Beziehung die Verführung der dunklen Seite zu repräsentieren: Asajj Ventress.

Brotherhood liefert uns die erste Begegnung zwischen den Jedi und Ventress und nutzt diese auch effektiv als Agentin Dookus, wobei ich mich oft auch an ihre Charakterisierung in Dooku: Jedi Lost erinnert fühlte. Ventress ist definitiv die Hauptantagonistin des Romans, der allerdings weitgehend (wenngleich keineswegs vollständig) auf Actionszenen und epische Konfrontationen verzichtet, um stattdessen lieber Zeit im Kopf seiner beiden Jedi-Hauptfiguren zu verbringen. Als jemand, der einen gut gemachten Charakterroman zu schätzen weiß, und deswegen auch den eher ruhigen Legends-Roman Kenobi von John Jackson Miller genossen hat, finde ich das aber keinesfalls schlimm; man muss hier nur seine Erwartungen entsprechend einstellen und das Buch seine Magie wirken lassen.

Die Kehrseite dieser Beschaffenheit von Brotherhood ist allerdings, dass sekundäre Figuren – selbst die vergleichsweise wichtigen Ruug und Ketar – bisweilen sehr offensichtliche narrative Funktionen erfüllen, sofern man sich ihrer thematischen Bedeutung Gewahr ist. Dies trifft leider auch auf eine sehr interessante neue Figur zu, eine Jedi-Schülerin namens Mill Alibeth. Ich sage Schülerin, meine aber Jüngling, denn sie hat sich bewusst dagegen entschieden, einen Lichtschwertkristall zu bekommen und Padawan zu werden, und landet unversehens mit anderen Jünglingen in der Obhut Anakins. Bei Anakin und Jünglingen schwante mir direkt Böses, aber mitnichten: er ist eher wie ein großer Bruder zu ihr, was dem Titel des Romans entspricht. Mills Problem ist, dass sie überaus starke Empathiefähigkeiten besitzt, ähnlich wie Imri Cantaros aus der Hohen Republik. In jener Ära wäre sie sicher gut aufgehoben gewesen, doch die Emotionen des Krieges sind Leid, Wut und Hass und somit für Empathen verheerend. Noch bevor Anakin überhaupt jemals Ahsoka begegnet, hat er mit Mill bereits erste Erfahrungen als Lehrer, zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich selbst noch in neuen Rollen zurechtfinden muss. Die Dynamik ist spannend, auch wenn ich die Auflösung hier eher kritisch sehe bzw. denke, dass Mill etwas zu sehr in ihren symbolischen Funktionen unterging und ein paar weitere Szenen oder Kapitel gebraucht hätte, um wirklich als eigenständiger Charakter glänzen zu können.

Selbst wenn manche Nebenfiguren sich schlussendlich als Mittel zum Zweck im thematischen Gefüge der Klonkriege entpuppen, erzählt Chen dennoch einen packenden Charakterroman, dessen Ambition in Relation zu den Möglichkeiten jener beengten Ära die Waage hält. Somit ist der Leser zu keinem Zeitpunkt verloren, sondern kann wehmütig die frühen Spannungen im brüderlichen Bund von Obi-Wan und Anakin verfolgen, bevor diese Spannungen zu Brüchen wurden. Gekonnt eingeflochten in die Handlung sind auch Problemfragen unserer Zeit hinsichtlich Extremismus und dem Umgang mit lieb gewonnenen Personen, die scheinbar unrettbar ideologisch verblendet wurden. Chens Antwort ist würdig und pragmatisch, aber keinesfalls einfach. Alles in allem hat Mike Chen, der bereits in From A Certain Point of View: The Empire Strikes Back positiv aufgefallen ist, einen grundsoliden Klonkriegsroman abgeliefert, dessen Kernproblem zwar nicht so spannend ist wie seine Figuren, mit letzteren aber von Anfang bis Ende zu begeistern weiß. Von mir ergeht daher eine unbedingte Leseempfehlung an alle Fans von Obi-Wan und Anakin, insbesondere, wenn ihr euch schon immer eine menschlichere Darstellung des jungen Skywalkers gewünscht habt.

Wir danken Del Rey und Penguin Random House Audio für die Bereitstellung der Rezensionsexemplare.

3 Kommentare

  1. Ich freue mich total auf dieses Buch, doch aus Komfortgründen werde ich auf die übersetzte deutsche Version warten. Bis dahin werde ich noch meinen Bücher „Pile of Shame“ aufarbeiten. 🙂

    Danke für die Rezension!

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