Heute veröffentlicht Del Rey in den USA den heiß erwarteten Roman Star Wars: Bloodline von Claudia Gray, der ca. 6 Jahre vor Das Erwachen der Macht angesiedelt ist und die Geschichte erzählt, wie Leia von einer Senatorin der Neuen Republik zur Anführerin des Widerstands wurde. Eine deutsche Übersetzung unter dem Titel Blutlinie ist am 19. September bei Panini zu erwarten. Wir präsentieren euch heute eine möglichst spoilerfreie Rezension dieses Werks, in der ich euch sage, ob der Hype in meinen Augen gerechtfertigt war.
Zur Handlung: Die Neue Republik stagniert. In Abwesenheit von Mon Mothma, die in der Nachspiel-Trilogie die Galaxis vereint hat, kommt der Senat zum Erliegen. Keine Entscheidungen werden mehr getroffen, denn die beiden großen Parteien – die Zentristen und die Populisten – gehen sich nur gegenseitig an den Kragen. Die Zentristen hätten gerne einen starken Kanzler mit Vollmachten ähnlich derer Palpatines in den Zwielichttagen der Alten Republik, während die Populisten dafür sind, die aktuelle Situation beizubehalten und die Mitgliedssysteme der Neuen Republik viele wichtige Entscheidungen selbst treffen zu lassen. Als ein Hilfegesuch der Twi’leks von Ryloth – deren Welt nicht in der Republik ist – den Senat erreicht, brechen die populistische Senatorin Leia Organa und ihr zentristischer Gegenspieler Ransolm Casterfo gemeinsam auf eine Mission auf, um einer Verschwörung in der Unterwelt auf die Spur zu gehen. Doch damit lösen sie eine Welle von paramilitärischer Gewalt, Terroranschlägen und politischem Verrat aus, in deren Sog sich auch der Schatten des Imperiums wieder regt…
Ein Manko einiger bisheriger Kanonwerke war, dass sie nur selten relevante Ereignisse für die Saga im Allgemeinen und die jeweiligen Protagonisten im Besonderen erzählt haben. Dies endet hier. Bloodline liefert alles, was man zu Leias Leben nach Die Rückkehr der Jedi-Ritter wissen möchte, und enthält auch gleich mehrere wichtige Wendepunkte in ihrem Leben. Dabei werden wichtige Fragen zu Leia, aber auch zum Zustand der Galaxis beantwortet: Weiß sie, wer ihre Mutter war? Weiß die Galaxis, wer ihr biologischer Vater war? Wer aus der klassischen Trilogie lebt noch alles? Was ist mit Coruscant los? Wie kam es zur Gründung des Widerstands? Letztere Frage ist die Hauptfrage, die der Roman beantwortet und es ist eine sehr persönliche Geschichte für Leia, doch auch wenn (von einem gewissen Schmuggler abgesehen) keine weiteren Filmhauptfiguren in Bloodline auftauchen, so könnt ihr versichert sein, dass ihr (oft beiläufig) erfahren werdet, was mit Luke, Ben, Lando, Mon Mothma und anderen Fanlieblingen seit Episode VI geschehen ist oder gleichzeitig zu Leias Erlebnissen geschieht. Dies ist auch mit einigen Überraschungen gespickt, die Timeline-Fans womöglich zwingen werden, ihren „Kopfkanon“ seit Episode VII wieder etwas zu justieren.
Im Umfeld des Rebels-Finales „Ezras Versuchung“ und Ahsokas Duell mit Vader hat Dave Filoni gesagt, das Duell werde ein Moment in der Saga sein, der in Zukunft nochmals besucht und näher beleuchtet werden wird. Ähnlich ist es mit Bloodline. Die Ereignisse dieses Romans wirken sich auch auf die abwesenden Charaktere aus und manche dieser Auswirkungen sieht man in Episode VII, doch die unmittelbaren Details werden irgendwann definitiv in einer anderen, zeitgleich spielenden Geschichte aufgegriffen werden. Das ist unumgänglich. Doch ihr müsst jetzt keine Angst haben – ihr bekommt hier keine unvollständige Geschichte erzählt. Bloodline ist eine runde Geschichte und es fehlen keine wichtigen Teile. Ich sehe das eher wie Order 66 in Episode III oder der Niedergang des Imperiums in Episode VI – man weiß, dass dies auch andere bekannte Figuren in der Galaxis betreffen muss, doch man sieht nicht direkt, wie es sich auf sie auswirkt. Erst in weiteren Werken (z.B. Kanan: Der letzte Padawan oder Nachspiel bzw. im Legends-Bereich Republic Commando 4: Order 66) bekommt man ihre Version der Ereignisse. Die Galaxis in Bloodline fühlt sich also groß an, aber nicht so groß, dass die Geschichte unbedeutend wird – das ist sie beileibe nicht.
Ein großes Plus von Claudia Gray bei Star Wars: Verlorene Welten war bereits ihre Fähigkeit, brandneue Charaktere so zu schreiben, dass man sie schnell ins Herz schließt und sich für ihr Schicksal interessiert. Dies ist etwas, das in jüngerer Zeit nicht jedem aktuellen Kanonautor gelungen ist, doch Gray schafft dies auf eindrucksvolle Weise. Jede Figur hat eigene Stärken, aber auch Schwächen, die im Laufe der Geschichte relevant werden und große Konsequenzen haben. Auch gibt es keine einseitigen Charakterisierungen. Leia handelt nicht fehlerfrei richtig und ihr Widersacher Ransolm Casterfo wird nicht einseitig böse dargestellt. Tatsächlich ist dies anfangs auch eine Fehlwahrnehmung Leias, bis sie Casterfo näher kennenlernt und merkt, dass er eine komplexe Person mit ureigenen Motivationen, Ängsten und einer Vergangenheit ist. Ähnlich intensiv ist eine Szene, in der das große und wohl auch unerwartete Geheimnis von Leias Adjutantin Greer Sonnel gelüftet wird, eine überaus sympathische neue Figur, die sich nahtlos in Star Wars einfügt und die wir auch bestimmt noch in anderen Werken der Post-Endor-Ära sehen werden.
Was die Handlung an sich betrifft, so beginnt diese doch recht seltsam. Es dauerte ein wenig, bis der Politik-Plot bei mir richtig gezündet hat, aber ehrlich gesagt dauerte das auch nicht allzu lange. Claudia Gray hat ein gutes Händchen dafür und sobald die politischen Ereignisse auch persönlicher wurden war ich ganz mit dabei. Es gibt auch einen Handlungsstrang, nämlich der von Lady Carise Sindian, der von der Konzeption her etwas seltsam anmutet, bis er im Laufe des zweiten Akts schlussendlich mit der Haupthandlung zusammenläuft und für unerwartete Konsequenzen sorgt. Dies, ebenso wie die (zumindest in der Vorabversion des Buches) unerklärte Abwesenheit einer Kanzlerfigur, sind die einzigen Kritikpunkte, die ich an der Handlung habe, und im Falle von Lady Carise ist dies nicht mal wirklich negativ zu bewerten – ihre Handlung ist eine „wildcard“, deren Sinn sich eben erst später erschließt, doch das macht sie per se nicht schlecht. Zudem schreibt Gray hier (noch) erwachsener als in Verlorene Welten und muss keine seltsamen Zufälle erklären, weshalb gewisse Charaktere zu gewissen Zeitpunkten alle am selben Ort waren. Bloodline stellt hier also eine klare Steigerung von Grays bereits beeindruckendem Erstlingswerk in der weit, weit entfernten Galaxis dar.
Was neue Figuren aus Das Erwachen der Macht angeht, so dürfen Bloodline-Leser sich auf einige Nebenfiguren aus dem Film freuen, die hier eine größere Rolle spielen (Korr Sella! Dr. Harter Kalonia!) oder zumindest in Schlüsselszenen einen Auftritt feiern. Es lohnt sich also, auf der Jedipedia oder in der illustrierten Enzyklopädie zu Episode VII die Namen und Rollen der Hintergrundfiguren kennenzulernen. Durch Figuren wie Temmin „Snap“ Wexley und den Twi’lek Yendor wird dabei auch die Brücke zu Werken aus der „Journey to The Force Awakens“ geschlagen. Zudem ist Padmé Amidala, Leias leibliche Mutter, ebenfalls eine starke Präsenz und führt somit mit donnerndem Applaus (seht ihr, was ich da getan habe?) die Prequel-Trilogie gekonnt mit der Sequel-Ära zusammen. Leias biologische Eltern sind genauso ein Teil dieses Werkes wie Leias Adoptiveltern Bail und Breha Organa von Alderaan, womit wir einen tieferen Einblick in ihre Psyche erhalten als im Prinzessin Leia-Comic und auch eine treffendere Charakterisierung als in Legends-Werken wie Auf Messers Schneide. Claudia Gray schreibt Leia sogar noch besser als Jason Fry und Cecil Castellucci in Bewegliches Ziel – und das will was heißen.
Dieses Buch wird allerdings nicht jedem gefallen. Erstens ist ein Teil des Haupthandlungsstrangs aufgrund von Episode VII etwas vorhersehbar. (Unter diesem Argument könnte man aber alle im Umfeld der Filme angesiedelten Bücher und Comics, die Prequel-Trilogie sowie Rogue One ungelesen/ungesehen verurteilen.) Zudem ist Bloodline durchaus politiklastig, trotz persönlicher Relevanz dieser Politik, und trotz einiger Actionszenen bleibt es ein Roman, dessen größten dramatischen Wendungen in der Senatskammer stattfinden. Für manche ist dies sicher ein Kritikpunkt, daher sei es hier auch nochmal ausdrücklich betont, und in gewissem Maße kann ich diese Kritik auch nachvollziehen, allerdings finde ich, dass dabei die Umsetzung zählt, und die ist hier wunderbar. Auf die Gefahr hin, hier in Lobreden auf Claudia Gray zu versinken: Diese Autorin ist ein klarer Gewinn für die Saga und wohl auch der beste Neuzugang seit Kanonstart (und vielleicht auch in den jüngeren Jahren davor). Bloodline ist nicht fehlerfrei, aber mit einem starken, wichtigen Plot und fesselnden Charakteren so gut inszeniert, dass ich mich nicht scheue, die volle Anzahl an Holocrons zu vergeben.
Jetzt, Freunde, bin ich allerdings auf eure Meinung zu diesem Werk gespannt!
Wir danken Del Rey ganz herzlich für die großzügige Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
Die deutsche Ausgabe ist hier vorbestellbar!
Bin seit heute morgen am Lesen. Habe mir sogar Urlaub für das Buch genommen. 🙂
Sehe ich es richtig, dass das erste Kapitel deutlich vor dem zweiten Kapitel spielt? Sonst käme das mit der Timeline-Verortung nicht richtig hin.
Da muss ich später daheim nochmal reinschauen… Also größere Zeitsprünge sind mir jetzt nicht in Erinnerung, aber evtl. habe ich etwas überlesen oder es war in der Vorabausgabe noch anders… (Ich hoffe, sie haben einige der Tippfehler für die finale Version korrigiert.)
Ist ja meistens so, dass da Fehler noch ausgebaut werden. Der Übergang sieht auch erstmal linear aus, aber Ben ist in Kapitel 1 noch sehr klein, was er 6 Jahre vor TFA ja nicht mehr sein kann und Han scheint von Kapitel 1 zu Kapitel 2 auch seinen Lebenskontext geändert zu haben.
Also… in meinem 1. Kapitel (der Widmungszeremonie mit Bails Statue) tauchen Han und Ben gar nicht persönlich auf und es wird schon von Populisten und Zentristen gesprochen, sodass da kein Zeitsprung ist. Ich hab jetzt auf Amazon reingeschaut und da ist es genauso.
In beiden gibt es aber eine kursiv geschriebene Passage aus Leias Erinnerung an Bens Kindheit. Vielleicht meinst du das ja?
Ist sicher ein gutes Buch, ich werde es mir dann im September kaufen. Es ist echt schön, endlich ein Buch zu haben, dass etwas „allgemeiner“ ist, und nicht so wie „Nachspiel“ eine unwichtige Konferenz mit unwichtigen Persönlichkeiten behandelt. Das haben Legends-Werke wie die fantastische Thrawn-Trilogie einfach besser hingekriegt. Ich mag einfach diese informationslastigen Bücher.
Um der Thrawn-Trilogie Tribut zu zollen sollte die Storygroup einen guten Autor engagieren um etwas ähnliches zu schreiben, nicht von der Handlung her, sondern von den Charakteren. Wir brauchen einfach einen genialen Imperialen, ähnlich wie Thrawn. Von mir aus kann Rae Sloane (die ich eigentlich nicht mag) den „Pellaeon spielen.
Ehrlich gesagt bin ich ziemlich erleichtert, dass endlich mal ein gescheites Star Wars Erwachsenenbuch erscheint.
Die bisher besten Star Wars Bücher des neuen Kanons waren für mich ironischerweise die Jugendbücher und der Battlefront Roman.
„Nachspiel“ fange ich demnächst an und bin ziemlich gespannt weil das Buch wohl ziemlich polarisiert aber von den meisten Leuten wohl als schlecht bezeichnet wird.
Auf Bloodline freue ich mich von den Ankündigungen am meisten. Vor allem werde ich Episode VII dann endlich in einem anderen Licht sehen können, wenn ich den Zustand der damaligen Galaxis dann endlich genauer kenne.
Die Handlung von Nachspiel ist leider vernachlässigbar, bzw. komplett un-relevant. Das ist eigentlich ein noch viel größeres Problem als der grauenhafte Schreibstil.
So schlecht war Aftermath (finde den dt. Titel etwas seltsam) jetzt eigentlich auch nicht. Der Schreibstil ist etwas sehr unorthodox, aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran (habe da schon viel schlimmeres erlebt, ich sag nur Fräulein von Scuderi).
Natürlich ist Chuck Wendig kein Timothy Zahn, aber Aftermath war auch nie dafür ausgelegt Heir to the Empire zu ersetzen.
Und was den Plot angeht: Ja, er ist für ein Buch ansich genommen eigentlich unrelevant, aber es kommen ja noch zwei weitere Bücher und insofern muss man das im Kontext mit der Triologie sehen und das ist erst 2017 wenn Empire’s End erscheint möglich.
Tolle Rezension! 5 Sterne – richtig so! Alles andere wäre eine Schande gewesen. 🙂
Ich habe das Buch heute zu Ende gelesen und bin ebenso begeistert! Claudia Gray ist wirklich DIE neue SW-Autorin und „Lost Stars“ war kein Zufallstreffer! Auch in „Bloodline“ zeigt sie wieder, was sie am besten kann: tolle, glaubhafte Charaktere schreiben (egal ob neue oder bekannte!) und eine Handlung so geschickt aufbauen, dass ein beiläufig zu Beginn gefallener Nebensatz am Ende plötzlich noch große Bedeutung bekommt. Bei Claudia Gray ist alles verknüpft, hat alles Bedeutung, nichts steht einfach so sinnlos und unverbunden da.
Ransolm, Korr(ie), Greer und Joph habe ich, wie schon bei Lost Stars, direkt ins Herz geschlossen und mich für ihre Geschichte und ihre Probleme interessiert, wie das sonst nicht unbedingt bei neuen Charakteren der Fall ist. Und Leia war absolut klasse und authentisch geschrieben, genauso wie übrigens auch Han, der leider nur kurz vorkam! Selbst Temmin „Snap“ Wexley hat auf den 1-2 Seiten, auf denen er hier vorkommt, gefühlt mehr Charaktertiefe als im gesamten „Aftermath“. 😉
Einzig die Sache mit Mon Mothma und dem Kanzleramt war wirklich etwas komisch. Warum wird nicht einfach ein neuer Kanzler gewählt? Wieso schafft man stattdessen das neue Amt des „First Senators“?
Ja, die Kanzlersache war durchweg seltsam… aber das ist auch echt das einzige Manko an diesem fantastischen Buch. 😀
Was mich auch verwundert ist, warum Mon Mothma zu dieser Zeit noch immer Kanzlerin ist/wäre. In der Alten Republik war die reguläre Amtszeit des Kanzlers auf 2x 4 Jahre begrenzt (Palpatine hat den Bogen ja überspannt mit Zustimmung des Senats und später durch die Notvollmachten). Demzufolge müsste Mon Mothma wenn man davon ausgeht, dass 5NSY ihre Amtszeit begann und sie 2 Amtsperioden ausgefüllt hat, im Jahr 13NSY als Kanzlerin abgetreten sein und Platz für einen Nachfolger gemacht haben.
Außer sie wurde irgendwann wiedergewählt, was ich persönlich aber seltsam finde, da die ganze Sache ja sehr von der U.S.-Politik inspiriert ist und da darf jemand, der bereits zwei Amtszeiten als Präsident hatte nicht irgendwann nochmal gewählt werden – selbst wenn er zwischendurch eine Amtszeit Pause macht.
Mothma ist keine Kanzlerin mehr; das Buch sagt explizit, dass sie das Amt nicht mehr innehat und ihre Nachfolger allesamt „Schwächlinge“ bzw. Taugenichtse waren.