Wired UK hat den britischen Comicautor Kieron Gillen über seine neue Marvel-Comicserie Star Wars: Darth Vader interviewt, deren erste Ausgabe heute erschienen ist. Vorsicht: Weder Interviewer noch Interviewter schrecken vor Sarkasmus, Ironie oder Schimpfworten zurück. 😉
Fangen wir mal mit einer harten Nuss an – warum sollten Leser sich für die neuen Serien Darth Vader und Star Wars interessieren, wenn ihr Territorium bereits im alten Erweiterten Universum ziemlich ausgetreten worden war? Disney hat zwar gesagt, dass das alles nächt zählt, aber mann kann die Leute nicht zwingen, diese Geschichten zu vergessen.
Du verstehst das nicht; unser nächster Schritt ist dem Weltraumzeitalter würdige Lasertechnik, die Gedanken löschen kann!Was, keine psychotropische Tinte auf den Seiten?
Aber damit würde man ja nur diejenigen Treffen, die das Heft lesen! Es ist schwierig, diese Frage zu beantworten, ohne dem früheren EU gegenüber gemein zu klingen. Es fällt schwer, das EU Leuten zu erklären, die dem Star Wars-Fandom nicht genau folgen. Es gibt mehrere Kontinuitäten – was ist Teil der Kontinuität? Wie detailliert kann man werden? Das ist wie „Crisis on Infinite Star Wars.“ Wir sind in einer Position, in der wir reinen Tisch machen müssen, weil der Wald zu dicht geworden ist. Es ist ein sehr mutiger Schritt, den noch keiner zuvor gewagt hat. [Lucasfilm hat eine] Story Group und deren Aufgabe ist sehr klar definiert – es gibt da diesen Meta-Mythos und all diese Geschichten werden auf eine Weise kanonisch sein, wie sie es noch nie zuvor waren. Es gibt keinen Zweifel mehr, was „wahr“ ist; Darth Vader wird zu dieser Zeit hier sein und diese Dinge tun. Es ist sehr interessant, mit ihnen zu arbeiten, denn es ist ein ewiges Hin und Her mit der Frage „Kann ich das tun?“ und den Antworten ja oder nein. Es ist ein interessanter Prozess.Die Kehrseite ist, dass ich mit einer Geschichte zu ihnen kommen kann – das ist jetzt ein rein hypothetisches Beispiel – und ihnen sage, dass ich diese Idee für ein Ministerium oder irgendeine andere Organisation haben. Dann können sie antworten, dass es sowas Ähnliches tatsächlich bereits in einem anderen Buch gibt. Das ist eine interessante Art gegenseitiger Kolonisierung. Es wird ein Ausmaß an Konsistenz geben, das es zuvor noch nie in einem Universum dieser Größe gegeben hat. Ich arbeite in einem sehr kleinen Teil davon, so wie wenn ich für Marvel schreibe. Ich schreibe nicht das gesamte Marvel-Universum; ich schreibe Loki oder die X-Men.
Wo wird deine Serie in diese Kontinuität passen?
Unsere Geschichte beginnt kurz nach Neue Hoffnung und wird zu Imperium hinführen. Das sind unsere beiden Primärtexte. Uns ist aufgefallen, dass Vader in Krieg der Sterne lange nicht so bösartig ist wie in Imperium. Die Kaltherzigkeit, mit der Vader Leute behandelt, ist anders, genau wie die Macht, die er im Kampf zur Schau stellt. Er ist derjenige, der am meisten für die Zerstörung des Todessterns verantwortlich ist, weil er – absichtlich – zugelassen hat, dass die Pläne davonkommen. Er ist der einzige Überlebende mit militärischem Rang, also muss er der Sündenbock sein. Es ist also der Fall und Aufstieg von Darth Vader, die Geschichte, wie der Typ am Ende von Krieg der Sterne der Typ am Anfang von Imperium wird.
Wie verstehst du Vader als Charakter?
Es ist im Grunde die Geschichte über einen Bösewicht, der noch böser wird, aber sie soll so sein wie House of Cards – damit meine ich sowohl das britische Original als auch das amerikanische Remake – wo es um einen Kerl in einer Machtposition geht, der gekränkt wird und dann zu Taktiken greift, die er zuvor noch nie verwendet hatte, um das zu bekommen, was ihm zusteht. Andere Leute haben steilere Karrieren. In so ziemlich jedem Bereich seines Lebens lebt er in irgendjemand anderes Schatten. Manche Leute halten ihn für einen Schoßhund. Das gefällt Vader ganz klar nicht, was mehr als nur ein paar Konsequenzen hat.Eine meiner Lieblingsszenen in Imperium ist die Szene mit den Kopfgeldjägern. Vader ist ein herrlicher Mikromanager – vom Rang her sollte er eigentlich gar keine Kopfgeldjäger in ihre Mission einweisen! [Aber] er weiß, dass Boba Fett zu Desintegrationen neigt, und muss ihm sagen, dass er davon absehen soll. Er kennt diese Welt, also ist dieser Vader die Art Figur, die sich auch die Hände schmutzig macht. Das Problem damit, eine weitere Serie mit Vader auf einem Sternenzerstörer zu machen, besteht darin, dass darin wieder nur ein Haufen gesichtsloser Weltraumfaschisten vorkäme. Wir können uns in die seltsameren Teile des Mythos begeben [und] Vader mit anderen Leuten umgeben, die andere Rollen erfüllen, sodass man Vader nicht herabwürdigt. Es ist wirklich wichtig, dass er seine Erhabenheit bewahrt.
Deine Arbeit ist dafür bekannt, größere Aussagen zu treffen – inwiefern ist das in einem starreren Universum möglich?
Ich wusste ungefähr auf halbem Wege durch Uncanny X-Men, dass Schism und dann AvX bevorstehen würden, also konnte ich darum herum arbeiten. Das ist der Alltag eines Comicautors. Die Idee ist, dass es bereits eine Melodie gibt, der man dann seine eigenen Strukturen hinzufügt, um das Kernthema zu erweitern. Diese Kernthemen und Ideen liefert man mir – es fängt hier an, es endet dort und diese Leute spielen dabei eine Rolle. Meine Aufgabe ist es, Tiefe und Nuancen hinzuzufügen. Wir haben Dinge wie Vader, der Luke entdeckt, die Erkenntnis, dass man ihn zwanzig Jahre lang angelogen hat, und ich darf dies schreiben.Inwiefern spielen die Prequels und Vaders Hintergrund als Anakin eine Rolle?
Es ist ein Hintergrund, der hinsichtlich Motivation und Psychologie allgegenwärtig ist. Er zieht sich durch Star Wars als Gesamtes. Selbst als Prequel-Hasser kann man die emotionale Reise der Figuren zu schätzen wissen. Vader ist Anakin aber zugleich auch nicht; er ist nicht derselbe Typ wie vor zwanzig Jahren. Ich habe mir alle Prequels genau angeschaut und die Details auseinander genommen, um zu sehen, was es wert ist, dass man es genauer untersucht, und was die Dinge interessant macht. Bei manchen Dingen, die ich tue, spielt eine neue Figur eine Rolle und das nimmt eine absolut grauenvolle Wendung. Es ist eine düstere Serie.
Glaubst du, es ist Teil von Vaders Attraktivität, dass die Leute nicht so viel über ihn wissen beziehungsweise wussten?
Ihm haftet eine Aura der Distanz an. Ich bringe mir beim Schreiben oft bei, das Maul zu halten. In der zweiten Fassung entferne ich hauptsächlich Dialoge. Das ist in Comics sehr kompliziert, da das Format nicht sonderlich gut für Stille geeignet ist. Das wird einfacher, wenn wir einen Cast um ihn herum aufbauen. Zugleich Distanz zu wahren und euch eine Vorstellung zu geben, was er womöglich gerade denkt, ist kompliziert. Bei Vader wollten wir das Gefühl der Gefahr vermitteln, das dadurch entsteht, mit ihm im selben Raum zu sein. Ich werde kein Kästchen mit einem inneren Erzähler machen. Ein Panel mit Rückblenden, und dann seht ihr, was er tut, und ihr versteht, warum. Ich nehme niemals eure Handund sage euch: „Deshalb tut er das, was er tut.“Gibt es irgendwelche Regeln dafür, was du zeigen darfst und was nicht?
Uns wurde gesagt, dass wir Dinge [aus dem alten EU] einführen dürfen, wenn wir wollen, aber wenn wir das tun, dann müssen wir sie von Grund auf neu einführen. Ein Großteil der Story Group will es vermeiden, dass Dinge sich abnutzen, zum Beispiel Jabba der Hutt. Er ist ein Verbrecherlord, aber er ist einer von vielen. Wir hüpfen quer durch das Universum und erfinden neue Dinge. Der Trick daran ist, dass es sich wie Star Wars anfühlen muss. Ic hatte ein paar ziemlich gute Ideen, von denen ich mich verabschieden musste, weil sie nicht funktionieren.Hier ist ein Beispiel: Boba Fett ist in der ersten Ausgabe und erledigt einen Auftrag für Darth. Ich schrieb das ursprünglich als erste Begegnung zwischen Darth und Boba und das war nett, aber sie fragten gleich: „Muss das zwingend die erste Begegnung sein?“ Musste es nicht, aber derzeit ist es ihr erstes Treffen im Kanon. Lässt man es nun aber nicht ihre erste Begegnung sein, lässt das Raum für Geschichten mit diesen beiden zu früheren Zeitpunkten. Das ist die Aufgabe der Story Group: sie versuchen, es so dicht zu machen wie möglich.
Muss die Abwesenheit irgendwelcher neuer Figuren, die du einführst, während der Ereignisse der Filme erklärt werden?
Star Wars ist ein großes Universum. Es gibt keinen Grund, weshalb sie bei der Hauptgeschichte mitmischen müssten, weil es ein wirklich großes Universum ist. Es gibt allerdings ein paar Figuren, die wirklich hohe Ränge haben oder einfach wichtig sind. Sollte ich irgendeinen großen Weltraumgeneral einführen, dann könnten manche Leute dann fragen, warum diese Person nicht auf der Leinwand zu sehen war, aber genau darum geht es in diesem Buch. In diesen Fällen ist es wahrscheinlicher, dass ich mir Nebenfiguren aus den Filmen nehme und mit ihnen spiele und ihren Hintergrund aufbaue. Ich glaube, das große Universum erklärt eine Menge Dinge. Ich kann dafür sorgen, dass wichtige Mitspieler einfach in einer Bar am anderen Ende der Galaxis ihr eigenes Ding machen.Vaders und Lukes Beziehung wird in den Filmen behandelt, aber die Tatsache, dass Leia seine Tochter ist, nicht. Wirst du dich damit beschäftigen?
Das ist eine wirklich interessante Frage; wann hat Vader das mit Luke und Leia erkannt? Luke erkennt es erst in Die Rückkehr der Jedi-Ritter. Die Leia-Frage spielt definitiv eine Rolle.Vaders andere große Beziehung ist die zwischen ihm und Imperator Palpatine. Welche Rolle spielt diese in deiner Comicreihe?
Sie ist angespannt, aber Palpatine ist der Boss. Es eine Meister-Schüler-Beziehung und er ist [von Vader] enttäuscht. Eine Menge Dinge passieren und der Imperator ist übelst angepisst von Vader. Der Imperator hat zwanzig Jahre an diesem Todesstern-Plan gearbeitet, und sein vertrottelter Assistent hat ihn das Klo heruntergespült. Man kann es dem Imperator wirklich nicht verübeln, dass er angepisst ist. Diese Interaktion ist ein zentrales Thema der Serie und er ist immer noch ein Sith-Lord. Alle Palpatine/Vader-Szenen sind Gold. Ich hatte wirklich Spaß dabei, sie zu schreiben.Wie kam Salvador Larroca als Zeichner der Serie mit ins Spiel?
Das war hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dasss Salvador Zeit hatte und blitzschnell arbeitet. Es gibt eine kohärente stilistische Absicht hinter den Star Wars-Comics; die Illustrationen sind photorealistisch mit sehr klaren Linien, sodass diese Figuren wiedererkennbar sind. Salvador hat als Künstler einen Eisner Award gewonnen und er hat an Iron Man gearbeitet, also kann er auch Technologie zeichnen. Und er ist ein Kerl, der Star Wars wirklich liebt und achtzig Hefte im Jahr zeichnen kann. Das ist Geschwindigkeit der alten Schule a la Jack Kirby, einfach irrsinnig schnell. Das Einschüchternde an diesem Job ist, dass man allzeit bereit sein muss. Dadurch erhält die Geschichte Kohärenz und fühlt sich wie Star Wars an. Einen Zeichner zu haben sorgt dafür, dass das funktioniert. Er ist ein unglaublicher Geschichtenerzähler. Ich habe schon früher mit ihm gearbeitet, auch wenn dies das längste Projekt sein wird, an dem wir zusammen gearbeitet haben.Adi Granov ist ebenfalls involviert und er ist ein weiterer Künstler, den ich liebe, sowohl als Künstler als auch als Mensch. Er leistet diese wundervoll romantische Arbeit, in einem düsteren, byron’schen Sinne. Die neuen [Covermotive in den] Produktankündigungen sehen aus wie fantastische Star Wars-Figuren anstatt wie irgendwelcher Mist, den ich mir ausgedacht habe!
Wann hast du erfahren, dass du die Serie schreiben würdest?
Letztes Jahr. Als man mich fragte, war ich mir ehrlich nicht sicher, ob ich den Job wollte. Ich würde diese wichtigen Szenen schreiben und [es trieb mich] die Frage [um], ob es nicht noch bessere Leute für diesen Job gäbe. Das erinnerte mich daran, wie ich die Chance auf ein Interview mit William Gibson hatte, das ich aber abgelehnt habe, weil ich seine letzten Werke nicht gelesen hatte und mir sicher war, dass es andere Leute gab, die es noch besser machen könnten als ich. Bei Vader setzte ich mich hin und war mir sicher, dass ich die Person war, die das hier schreiben könnte, denn bei Marvel bin ich der Autor, den man holt, wenn es um Schurken geht. Das ist mein Talent. Niemand sonst ist so böse wie ich.
Was meint ihr zu dem Interview und – falls ihr es schon gelesen habt – zu Darth Vader #1? Die digitale Ausgabe könnt ihr hier kaufen. Wir werden in den kommenden Tagen auch eine Rezension des Heftes veröffentlichen.
Tolles Interview. Insbesondere das, was er über die Arbeit mit der Story Group erzählt und wie diese an alles herangeht, finde ich großartig. Darauf zu achten, dass sich nichts widerspricht, ist eine Sache, aber gleichzeitig auch Räume für Möglichkeiten und Entwicklungen aufzubauen, Optionen für andere Autoren offen zu lassen, Bestandteile des EU zu übernehmen, wenn sie gut eingeführt werden – das begrüße ich sehr (hat bei Tarkin nur leider schon mal nicht ganz so gut geklappt; das waren mir zu viele Namen, Rassen, Schiffstypen, die alle nicht sonderlich gut eingeführt wurden).
Zum ersten Heft warte ich noch was mit meiner Meinung, bis ich sie unter Eure Rezi setzen kann, da ist sie besser aufgehoben als hier. Nur eines vorweg: Bei Vader #1 macht sich die Nutzung der Digitalausgabe echt bezahlt. Wie man auf der Beispielseite mit Jabba oben sehen kann, sind viele Panels im Widescreenformat, und das zieht sich durch’s gesamte Heft. Stellt man die Anzeige auf Bild für Bild und nutzt die gesamte Breite des Monitors aus, wird das Ganze (zumindest auf größeren 16:9-Montoren) wie ein Film präsentiert, in einer Größe, die einen die (hervorragenden) Zeichnungen so richtig genießen lässt.
Ich fand’s klasse, und die Story ist auch nicht von schlechten Eltern.
Ich habe das Heft gerade gelesen und stimme bezüglich der Digitalausgabe deiner Meinung zu. Die Rezension gibt es wahrscheinlich morgen.
Und wo wir schon bei Kanon-Rezensionen sind: Del Rey hat grünes Licht gegeben für Heir to the Jedi-Rezensionen, was bedeutet, dass wir unsere Rezension ab 15. Februar endlich veröffentlichen dürfen. 🙂
Im Prinzip ist Nick Demus‘ Post nichts hinzuzufügen. Ein unheimlich aufschlussreiches Interview, was die Herangehensweise der Story Group angeht. Ich lese hier genau das, was ich mir nach der Ankündigung des Reboots erhofft habe. Bin gespannt, wann und inwieweit es bald Verflechtungen zwischen Marvel und Del Rey geben wird.
Mal sehen, wie „Darth Vader“ in eurer Rezension wegkommt.
Die Rezension wird nicht allzu schlecht ausfallen. 😉 Bin auch recht angetan von dem Heft.
Was Kontinuität angeht, so hat „Darth Vader #1“ bereits ein paar Anspielungen auf Ereignisse aus dem Roman „Tarkin“ gemacht. Das ist doch ein Anfang. 😉