Eine neue Ära voller neuer Star Wars-Titel im Portfolio beginnt beim Haus der Ideen und somit auch in unserem Marvel-Mittwoch. Den Anfang macht der Start der Reihe Legacy of Vader, mit der Charles Soule zu Kylo Ren zurückkehrt, um die Verbindung zwischen ihm und Darth Vader in den Fokus zu rücken.
Achtung: Wie immer besprechen wir im Marvel-Mittwoch die Handlung der Comics, sodass sowohl der Beitrag als auch die Kommentare Spoiler enthalten können.

Einführung
Charles Soule übernimmt nach fünf Jahren am Star Wars-Flaggschiff und vier Crossover-Events dank Marvels Neustart fortan den Darth Vader-Nachfolger Legacy of Vader. Nach seiner Arbeit an der zweiten kanonischen Darth Vader-Reihe aus den Jahren 2017 und 2018 sowie Ben Solos Vorgeschichte in der Miniserie Der Aufstieg Kylo Rens, führt er beide Figuren thematisch zusammen und lässt den Obersten Anführer der Ersten Ordnung auf den Spuren der Geschichte seines Großvaters wandeln.
Dass aus wirtschaftlicher Sicht der verkaufsstarke Dunkle Lord der Sith in gewisser Weise jeden Monat am Kiosk auf einem Comic-Cover zu sehen sein muss, plus die Tatsache, dass die fünfzig Ausgaben der letzten Reihe nicht überzeugten, lassen nach zehn Jahren Comic-Kanon allmählich Ermüdungserscheinungen aufkommen, was Geschichten mit der beliebtesten aller Star Wars-Figuren im Mittelpunkt angeht. Das Konzept von Legacy of Vader ist allerdings so geschickt gewählt, dass man gleich mehrere Fliegen erwischt; die Vader-Thematik ist gegeben, damit er auf jedem Cover und im Titel vertreten ist? Check. Neue Geschichten im eher vernachlässigten Zeitraum zwischen den Episoden VIII und IX? Check. Anknüpfungen von Soule an bereits von ihm etablierten Charakterisierungen und Handlungssträngen? Doppel-Check.
Geschichte

Unmittelbar nach der Schlacht von Crait erreicht der frischgebackene Oberste Anführer der Ersten Ordnung den Sternenzerstörer Finalizer und untermauert seinen Herrschaftsanspruch über die größte militärische Macht der Galaxis mit einer Präsentation der Überreste Snokes. Damit hinterlässt er ordentlich Eindruck bei den Sturmtruppen, gibt anschließend bei seinem Lieblingskonkurrenten General Hux einen Thron in Auftrag und begibt sich nach Mustafar, um den Rey gegebenen Ratschlag, die Vergangenheit sterben zu lassen, selbst zu befolgen. In Vaders Festung einmal angekommen, geschieht eine Begegnung, die seine Pläne grundlegend ändert.
Wer sich mit den ursprünglichen Konzepten für Episode IX unter dem Titel Duel of the Fates von Regisseur Colin Trevorrow beschäftigt hat, stellt schnell fest, wie mühelos Soule einzelne Elemente daraus wieder aufgreift. Zunächst waren Vaders Festung und Kylo Rens Kampf mit der Vergangenheit nämlich als wesentliche Handlungsbausteine geplant, die die Charakterreise des am Ende von Episode VIII hoffnungslos an die Dunkelheit verlorenen Skywalker-Erben fortsetzen sollte. Nun reicht ein einziges überlanges Comic-Heft, um diesen Aspekt doch noch in den Kanon zu übertragen.
Außerdem ist sich Soule einer weiteren unglücklichen Behauptung aus der Episode IX bewusst, die letzten Endes ins Kino kam; die schnelle Entwicklung von General Hux zum Verräter an der Ersten Ordnung. In einer sehr starken Szene zwischen dem Obersten Anführer und dem militärischen Oberhaupt, dessen Dialog die aus den Sequels bekannte Dynamik der Kontrahenten perfekt trifft, legt Soule die Grundlage für Hux‘ Entwicklung zur Schlüsselfigur in Der Aufstieg Skywalkers. Wie schon in Poe Dameron oder Der Aufstieg Kylo Rens ist sich der Autor diverser Widersprüche und Ungereimtheiten innerhalb der drei „neuen“ Filme bewusst und nimmt sich ihrer an, um das Gesamtbild abzurunden. Genau der Aufgabe sollte sich zwischen den Episoden angesiedelte Star Wars-Literatur mit Filmfiguren im Vordergrund widmen und Soule erfüllt sie mit dem ersten Heft bravourös. Ich bin gespannt, ob Hux im Lauf der Reihe weitere Schritte dieser Entwicklung gehen darf oder ob er eine gelegentliche Randerscheinung bleibt.
Trotz der Rückkehr von Soules oft genutzter Vader-Festung und der Nachfolge zu Greg Paks letzter Darth Vader-Reihe, führt Legacy of Vader mit seiner Hauptfigur und ihrer Charakterisierung in erster Linie allerdings Der Aufstieg Kylo Rens (The Rise of Kylo Ren) fort. Allein der Titel des ersten Handlungsbogens The Reign of Kylo Ren lässt keinen Zweifel daran. Nach den Ereignissen der Episoden VII und VIII baut Soule die klare Linie seiner Reise weiter, auf die er Leias Sohn mit dem Vierteiler um die Ritter von Ren und den Fall von Lukes Jedi-Akademie geschickt hat. Er baut eine schöne, kohärente Erzählung um den jungen Diktator auf, wie sie die Sequels im größeren Blick vermissen ließen.
So viel zur Meta-Ebene, doch wie schlägt sich das einzelne Heft? Kurz und begeistert: einfach fabelhaft. Die zurückliegenden fünfzig trashigen Hefte von Paks Vader-Titel werden zwar nicht vergessen, aber man wird allemal entschädigt. Soule nutzt die zusätzlichen Seiten des überlangen Hefts, um ein ruhiges, langsames Erzähltempo mit tiefen Einblicken in die Psyche seiner Hauptfigur zu fahren. Jeder einzelne Moment trifft, jede Szene hat ihre Berechtigung und selbst die kurze, unvermeidbare Actionsequenz bei der Ankunft Rens an Vaders Festung bringt die Geschichte voran. Viel mehr kann man sich von einem Star Wars-Comicheft, das eine neue fortlaufende Serie eröffnet, nicht wünschen.












Zeichnungen
Kongenial dabei hilfreich sind auch die Zeichnungen. Nach der Arbeit an zahlreichen Star Wars-Titeln der letzten Jahre scheint es tatsächlich so, dass mit Legacy of Vader Luke Ross‘ bisher beste Arbeit vorliegt. Aus den mitunter ungewöhnlichen Panel-Strukturen holt er das Maximum heraus, um einen kinoreifen Comic aufs Papier zu bringen, der sich hinter dem Fotorealismus von Kylos Filmszenen nicht zu verstecken braucht. Allein Ross‘ feine Führung der Gesichtslinien verleiht den Figuren, ihren Emotionen und der Mimik ein selten erreichtes Niveau exzellenter Lebendigkeit.
Nolan Woodards Arbeit an den Farben, beziehungsweise eher Schatten, trifft die triste Optik der Ersten Ordnung und Mustafars beispiellos. Beispielhaft verdeutlicht wird an der Szene im Regen auf Mustafar, welchen Detailgrad die visuelle Gestaltung des Comics erreicht. Finsteres Schwarz und blutiges Rot dominieren passend zum Inhalt und der Ästhetik der Hauptfiguren, letztere Farbe vor allem bei den Ren heimsuchenden Erinnerungen an die zentralen Filmereignisse. Vaders inflationäre Flashbacks der letzten Reihe sehen hier, wie bei so vielem im direkten Vergleich, völlig alt aus. Das hier ist eine andere Liga des Erzählens im Medium Comic.
Fazit
Obwohl er In-Universe bereits seit 30 Jahren tot ist und – wie der Titel schon andeutet – nun sein Vermächtnis im Vordergrund steht, ist Legacy of Vader #1 einer der genialsten Darth Vader-Comics überhaupt und eines der großartigsten Comic-Hefte seit langem. Mit dem Ende Snokes beherrscht nun Kylo Ren die bekannte Galaxis, so wie Charles Soule auf seiner Höchstform Star Wars-Comics beherrscht. Wenn dieses Niveau das der neuen Marvel-Ära vorgibt, wartet ganz Großes aus uns.
Am 12. März geht die Geschichte in Legacy of Vader #2 weiter. Für nächste Woche ist keine Marvel-Neuerscheinung angekündigt. Der Marvel-Mittwoch pausiert also, bevor es erst am 19. Februar mit Ahsoka #8 und The High Republic: Fear of the Jedi #1 weitergeht.
Wir bedanken uns bei Marvel für die Bereitstellung der digitalen Vorab-Exemplare, ohne die unser Marvel-Mittwoch nicht möglich wäre.
Ich freu mich schon sehr auf den ersten Sammelband. Eine Kylo Serie zwischen Ep. 8 und 9 war einer meiner Comic Wünsche. Da freue ich mich, dass es schon mal sehr gut losgeht.