Zweite Rezension: Star Wars: From a Certain Point of View

Star Wars: From a Certain Point of View (03.10.2017)
Star Wars: From a Certain Point of View (03.10.2017)

Anlässlich des 40. Jubiläums von Eine Neue Hoffnung hat man sich mit Star Wars: From a Certain Point of View ein ganz besonderes Buchkonzept ausgedacht: Eine Sammlung von 40 Kurzgeschichten, die den altbekannten Film „von einem gewissen Standpunkt aus“ betrachtet, nämlich aus der Sicht von Nebenfiguren, die oft nur sekundenlange, stumme Auftritte im Film haben oder manchmal auch überhaupt nicht auf der Leinwand auftauchen. Für dieses Buch, welches am 3. Oktober bei Century erschien, wurden 43 Autoren verpflichtet, die auf jegliche Gage verzichteten, um den Erlös des Buches der wohltätigen Organisation „First Book“ zugutekommen zu lassen, welche die Lesefähigkeit sozial schwacher Menschen fördern will. Unter den Autoren sind große Namen der Star Wars-Szene wie Gary Whitta (Rogue One), Pablo Hidalgo (Lucasfilm Story Group), Christie Golden (Inferno-Kommando), John Jackson Miller (Kenobi), Kieron Gillen (Darth Vader), Claudia Gray (Blutlinie) und Ashley Eckstein (Stimme von Ahsoka Tano in The Clone Wars).

Bei so vielen verschiedenen Autoren ist es selbstverständlich, dass sich auch bei den Geschichten eine bunte Vielfalt an Themen, Figuren, Perspektiven und Erzählstilen ergibt: Von Tarkin, Qui-Gon Jinn und Breha Organa über Sturmtruppen, Cantina-Aliens und Droiden bis hin zum Monster aus der Müllpresse bekommt hier fast jede erdenkliche Figur ihre ganz eigene Geschichte und Stimme. Hierbei scheuen sich die Autorinnen und Autoren auch nicht, mit ungewöhnlichen Stilmitteln wie der Du-Perspektive oder einem Text in Droidensprache zu experimentieren. Der Sammelband gleicht einem großen Star Wars-Spielplatz, auf dem sich die Kreativen einmal nach Herzenslust austoben durften. Dabei scheinen sie, wenn man sich die Aussagen von Redakteurin Elizabeth Schaefer im Interview ansieht, recht große künstlerische Freiheit gehabt zu haben. Dementsprechend wackelig ist aber wohl auch der Kanon-Status der Kurzgeschichten, die sich teilweise schon untereinander widersprechen. (Beispielsweise wird in einer Geschichte behauptet, die Rebellion habe zu wenig Piloten, um alle ihre Jäger zu besetzen, während eine andere Geschichte erzählt, einige Piloten hätten nicht mit in die Schlacht von Yavin fliegen können, da es zu wenige Jäger gab.) Es ist also vielleicht ratsam, sich beim Lesen des Buches immer wieder klar zu machen, dass man hier vielleicht nur die titelgebende „Wahrheit von einem gewissen Standpunkt aus“ erfährt und das letzte Wort in Sachen Kanonizität hier noch nicht gesprochen ist. Der reine Spaß beim Lesen sollte hier eindeutig im Vordergrund stehen.

Nun ist es, wie Florian schon in seiner Rezension ansprach, nicht ganz einfach, eine so vielfältige, bunte Mischung an Geschichten zu beurteilen. Natürlich haben mir einige Kurzgeschichten besser gefallen als andere, aber das ist bei einem Werk dieses Umfangs natürlich immer der Fall. Insgesamt muss ich jedoch sagen, dass es wirklich keine Geschichte gab, die mir richtig negativ aufgefallen wäre. Alle haben ihre Daseinsberechtigung und zeigen irgendetwas Interessantes. Manche waren einfach nur nett, gaben aber nicht viel an neuen Informationen oder Spannung her – so beispielsweise die Geschichten über Boba Fett und Greedo. Andere konnten mich richtig begeistern. Meine Top 5 habe ich euch hier nochmals (in der Reihenfolge, in der sie ihm Buch stehen) explizit aufgelistet.

Meine Highlights

„The Sith of Datawork“ von Ken Liu

„The Sith of Datawork“ von Ken Liu (Imperialer Bürokrat)

Ich beginne direkt mit einer sehr ungewöhnlichen Auswahl, denn in dieser Kurzgeschichte geht es um etwas, was gemeinhin als extrem langweilig angesehen wird: Bürokratie und Formulare! Diese werden nämlich auf einmal extrem wichtig für den imperialen Offizier, der es aus unerfindlichen Gründen nicht für nötig befand, die Rettungskapsel ohne Lebensformen abzuschießen. Als er herausfindet, dass in dieser Kapsel wohl doch etwas Wichtiges war, versucht er mit Hilfe eines wahren Bürokratie-Meisters – der sich im „Haus, das verrückt macht“ wohlfühlen dürfte – jeglichen Verdacht von sich zu lenken. Diese Geschichte hat mich so sehr amüsiert, weil man sich als von Bürokratie geplagter Erdenbürger einfach sofort mit diesem Offizier identifizieren kann. Jeder, der schon einmal versucht hat, eine Reisekostenabrechnung auszufüllen, wird sich hier wiederfinden können. Und da erscheint es nur zu glaubhaft und realistisch, dass der arme Offizier an den Waffen einen Stapel Formulare hätte ausfüllen müssen, um einen Schuss auf eine Rettungskapsel ohne Lebensformen zu rechtfertigen, oder dass dämliche Vorgaben von oben dazu führen würden, dass seine Leistungszahl automatisch sinkt, wenn er unbemannte Kapseln abschießt. Dieses Dilemma zwischen unpraktikablen Vorgaben von Vorgesetzten und dem Wunsch, einfach nur seinen Job richtig zu erledigen, ist hier auf wirklich humorvolle und amüsante Weise dargestellt. Und ich als Bürokratie-Hasserin kann die Entscheidung dieses Mannes, die Kapsel mit 3PO und R2 nicht abzuschießen, nun aus ganzem Herzen nachvollziehen.

„Master and Apprentice“ von Claudia Gray (Qui-Gon Jinn)

„Master and Apprentice“ von Claudia Gray
Dass ich als Gray-Fangirl diese Geschichte auswählen würde, war absehbar, aber die Autorin hat die Lorbeeren wieder einmal absolut verdient. In ihrer Kurzgeschichte erzählt sie uns, wie Qui-Gon Jinn mit Obi-Wan spricht, nachdem Luke nach Hause zur Lars-Farm geeilt ist, um seine Familie zu warnen. Qui-Gons Mut machende Worte passen nicht nur wundervoll in die Leerstelle aus dem Film, sondern das Gespräch vertieft auch nochmals die Beziehung zwischen Obi-Wan und seinem Meister während Obi-Wans Zeit auf Tatooine. Über diese Zeit und vor allem über die Kommunikation der beiden Jedi wissen wir bis jetzt nur sehr wenig. Daher hat die Geschichte aus der ungewöhnlichen Perspektive eines toten Jedi einen echten Mehrwert.

„An Incident Report“ von Mallory Ortberg

„An Incident Report“ von Mallory Ortberg (Conan Antonio Motti)

In dieser Kurzgeschichte ergreift der gewürgte und zurechtgewiesene Admiral Motti das Wort, dessen Mangel an Glauben Vader beklagenswert findet: Er beschwert sich über das für ein Meeting unangemessene und unprofessionelle Verhalten des Sith-Lords. Ähnlich wie schon bei The Sith of Datawork, sorgt hierbei das Zusammenführen der heroisch-überhöhten Welt von Star Wars mit unserer alltäglichen Arbeitswelt mit ihren Streitigkeiten und Lästereien über Kollegen und Vorgesetzten für einen humorvollen Twist. Auch sieht man als Leser das Meeting auf dem Todesstern wirklich einmal, wie von der Kurzgeschichtensammlung beabsichtigt, mit ganz anderen Augen. Denn Motti hat aus seiner Sicht als Offizier natürlich vollkommen Recht, dass der Glaube an die Macht überhaupt nicht Thema der militärischen Sitzung war oder sein sollte. So schafft Ortberg Sympathien für Motti, die jedoch gleichzeitig wieder durch den eingeschnappt-beleidigten Tonfall seines „Berichts“ gebrochen werden. Insgesamt eine höchst amüsante Lektüre.

„Eclipse“ von Madeleine Roux (Breha Organa)

„Eclipse“ von Madeleine Roux
Ein Moment, den ich immer schon sehen wollte und den es bisher seltsamerweise noch nicht zu sehen gab, obwohl er sich doch so aufdrängt: Die Zerstörung Alderaans aus der Sicht von Breha Organa! Diese traurige Geschichte ist nicht nur extrem gut umgesetzt und emotional ergreifend, sondern liest sich quasi wie eine Fortsetzung von Claudia Grays Roman Leia: Prinzessin von Alderaan. Auch hier erhält Breha als Königin von Alderaan die wichtige Rolle und starke Persönlichkeit, die ihr zusteht. Viele der Geschichten in diesem Band handeln von trostlosen Situationen, von Leid und Tod, doch das Thema „Hoffnung“ durchzieht das gesamte Buch wie ein roter Faden. Und so glimmt auch tröstlicherweise mitten in der Zerstörung von Alderaan noch ein Hoffnungsschimmer. Eine wunderschön geschriebene Geschichte über ein grausames Ereignis!

„Of MSE-6 and Men“ von Glen Weldon (Ein Mausdroide im Todesstern)

„Of MSE-6 and Men“ by Glen Weldon
Eine weitere wirklich ungewöhnliche Perspektive hat Glen Weldon gewählt: Er erzählt aus Sicht und in der simplen Computersprache eines Mausdroiden von der Affäre zwischen dem Soldaten TK-421 und einem nicht näher benannten hochrangigen Offizier. In dieser Geschichte ist es nicht nur spannend, als Leser zu spekulieren, mit welchem Offizier TK-421 wohl anbandelt – auch die Mausdroiden-Perspektive hat ihren Charme. Menschen haben ja oft die Angewohnheit, mit technischen Geräten zu sprechen, als seien sie ebenfalls menschlich. So auch in dieser Geschichte. Allerdings erfahren wir hier auch, wie viel von dem menschlichen Geschwätz der rationale Mausdroide als „irrelevant“ und „unklar“ klassifiziert. Und nebenbei bekommt man einen schönen Eindruck, wozu die Mausdroiden auf dem Todesstern da sind, und was sie den ganzen Tag so tun. Allerdings ist die Geschichte nicht nur heiter-lustig, sondern hat auch ihre dramatischen Elemente.

Beim Schreiben dieser Rezension ist mir aufgefallen, dass meine Highlights-Liste extrem Imperium-lastig ausgefallen wäre, wenn ich nicht gegengesteuert hätte. Ich hätte ohne Probleme noch etliche weitere Geschichten aus imperialer Sicht hinzufügen können, denn auch „Verge of Greatness“ von Pablo Hidalgo, „Change of Heart“ von Elizabeth Wein oder „The Bucket“ von Christe Golden hätten es absolut verdient gehabt, in dieser Liste aufzutauchen. Generell ist für mich in einer solchen Sammlung, die davon lebt, Bekanntes aus einem anderen Blickwinkel zu erzählen, der Wechsel zur Perspektive eines Imperialen viel interessanter. Wir sind es normalerweise gewohnt, mit den Rebellen zu sympathisieren. Dementsprechend sind deren Motivationen für uns weniger überraschend und die Geschichten über sie vielleicht etwas „langweiliger“ als die über Imperiale. Für diverse Monster, Aliens und Cantina-Abschaum konnte ich mich sowieso noch nie begeistern, weshalb es auch keine solche Geschichte in meine Favoriten geschafft hat. Das soll jedoch nicht heißen, dass diese Geschichten schlecht sind. Sie werden sicher andere Leser finden, die genau auf diese Geschichten gewartet haben.

Und das ist eben das Schöne an Star Wars: From a Certain Point of View: Diese Sammlung wird sicher keinen Leser enttäuschen. Jeder wird in dieser Vielfalt Figuren, Situationen oder Schreibstile finden, die ihn ansprechen. Ebenso wie jeder Zuschauer, der in den letzten 40 Jahren durch Eine neue Hoffnung zum Star Wars-Fan wurde, in diesem vielfältigen Film etwas entdecken konnte, das ihn oder sie persönlich begeistert. Insofern ist dieses Buch die perfekte Würdigung zum 40. Jubiläum eines großartigen Films!

Der Rezensent vergibt 5 von 5 Holocrons!
Die Rezensentin vergibt 5 von 5 Holocrons!

Wir danken Penguin Random House UK und dem Century-Verlag recht herzlich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Star Wars: From a Certain Point of View in der britischen Ausgabe von Century könnt ihr euch auf Amazon.de¹ bestellen. Eine deutsche Übersetzung der Kurzgeschichtensammlung ist vermutlich im Winter 2018/19 bei Blanvalet zu erwarten. Wenn Näheres bekannt wird, erfahrt ihr es natürlich bei uns.

Eine Übersicht aller Kurzgeschichten findet ihr in unserer Meldung vom 14. September.

Welche Kurzgeschichten aus diesem Band haben euch am besten gefallen?

12 Kommentare

  1. Schöne Rezension, Ines! Und deine Favoriten gefielen mir auch sehr – bis auf „Sith of Datawork“, denn der persönliche Bezug mit der Bürokratie hat bei mir eher negative Assozationen geweckt. Gut geschrieben war die Story dennoch.

    „Of MSE-6 and Men“ war hingegen aber wahrlich ein wunderbares Experiment, das irgendwie Lust auf mehr machte, und der „Incident Report“ ist Motti in Bestform.

  2. Gut. Die nunmehr zweite 5 Sterne Rezension hat mich dazu gebracht das Buch jetzt trotzdem auf Englisch zu bestellen und mein Glück zu versuchen. Das positive ist, die Kurzgeschichten ermöglichen einen abgeschlossenen Lesetag und das Verständnis + ggf. die Übersetzung fällt leichter. Also eigentlich als Einstieg gar nicht so schlecht. Wobei ich Catalyst damals schon zur Hälfte auf Englisch las und da auch relativ viel verstanden habe 😉

    1. Das kriegst du hin! Und manche Kurzgeschichten sind sprachlich auch recht einfach, während andere – z.B. Ian Doeschers Palpatine-Gedicht – wiederum schwieriger sind. Das bedeutet, dass du gute stilistische Abwechslung hast und im Zweifelsfall auch mal eine Story überspringen oder hinten anstellen kannst, um zuerst die „leichteren“ zu lesen. Aber wenn du bei Catalyst gut mitgekommen bist, wirst du die meisten Kurzgeschichten in FACPOV meistern können.

    2. Das freut mich als Englischlehrerin dann doch ganz besonders, dass ich dich zum Englisch-Lesen animieren konnte! 🙂 Und du hast Recht, Kurzgeschichten sind ein echt guter Einstieg dafür. Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen!

  3. Tolles Buch, nur schade, dass ausgerechnet eine der uninteressantesten Stories auch gleichzeitig die längste ist – oder könnt ihr mir den Sinn hinter „THE KLOO HORN CANTINA CAPER“ verständlich machen?

    1. Ich glaube, da gibt es keinen tieferen Sinn… ich fand die auch stellenweise langatmig, aber hatte an anderen Passagen davon auch wieder meinen Spaß. Hauptsächlich ist die wohl was für Cantina-Alien-Nostalgiker… 😉

  4. Wisst ihr eigentlich etwas über eine Planung in Bezug auf eine deutsche Ausgabe oder könnt da evtl noch mal bei Blanvalet nachhaken? Dieses Buch ist eines der wenigen, das mich wirklich noch interessiert und ich würde schon gerne in den Genuss einer deutschen Ausgabe kommen können, aber irgendwie tut sich da nix mehr, oder?

Schreibe einen Kommentar